Foto: Nikita Teryoshin

Nikita Teryoshin

Münsterland, Stall eines kleinen Biomilch-Erzeugers

Weltmilchtag: Bei einer Informationsveranstaltung eines kleinen Biomilch-Erzeugers im Münsterland posiert ein Kuh-Maskottchen neben Kälbern. Die Kälber schauen reflexartig zum Plüsch-Euter hin. Sie werden in der Regel direkt nach der Geburt den Müttern weggenommen. Da es sich um einen Biobetrieb handelt, bekommen die Tiere im Bild wenigstens Muttermilch. In konventionellen Betrieben ist in der Regel nicht einmal das gegeben.

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Jannik Heckel

Student im Studiengang „Agrarwissenschaften“ der Universität Hohenheim, ausgebildeter Landwirt und Mitglied im Verband „Junge DLG“

Toll, dass sich trotz aller Kritik an der Landwirtschaft immer wieder Betriebe finden, die ihre Höfe für Verbraucher:innen öffnen, um den Bezug zur Lebensmittelproduktion zu verbessern. 

Ich kenne manche Landwirt:innen, die den Kontakt zur Öffentlichkeit gesucht und inzwischen resigniert haben – einfach, weil es beim Thema Landwirtschaft viel Unwissenheit und immer wieder Menschen gibt, die gar nicht zuhören wollen.

So wird so manchen die Unterbringung der Kälber auf diesem Bild rudimentär erscheinen. Für die Einzelhaltung in den ersten Lebenswochen gibt es jedoch einige Gründe. Sie erlaubt eine bessere Hygiene und Infektionsprophylaxe und ermöglicht, jedes Tier in den ersten Lebenstagen individuell mit der antikörperhaltigen Erstmilch der Mutter zu füttern.

Spätestens ab der dritten Lebenswoche muss eine Gruppenhaltung erfolgen, bei der die Kälber zusätzlichen Platz sowie Raufutter zur Verfügung haben. 

Es gibt auch Reformvorschläge zur Umsetzung von ammen- oder kuhgebundener Aufzucht. Die höheren Kosten für Aufwand und das Wohl des Kalbes muss sich dann jedoch auch in einem höheren Verkaufspreis im Supermarkt widerspiegeln.

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Prof. Dr. Eva Gallmann

Leiterin des Zentrums für Tierhaltungstechnik der Universität Hohenheim und ausgebildete Landwirtin

Eine gleichermaßen biologische, ethische, produktionstechnische, ökonomische und emotionale Herausforderung: Trennen wir das Kalb von der Kuh bereits nach ein bis drei Tagen oder ermöglichen wir eine kuhgebundene Kälberaufzucht über viele Wochen? 

Unsere Studierenden stellen berechtigterweise kritische Fragen. Wenn man dann gemeinsam in das Thema tiefer eintaucht und sich auch mit vielen Erfahrungen aus der Praxis auseinandersetzt, wird u. a. deutlich: Die kuhgebundene Aufzucht ist ein System mit vielen Gesichtern. 

Es muss für jeden Betrieb und seine Arbeitsbedingungen eine passende Lösung gefunden werden und es ist beileibe kein Rundum-sorglos-Paket. Es kann mit einer großen Zufriedenheit bei den Tierhaltern einhergehen, es kann aber auch das Gegenteil passieren.

Was bedeutet es für uns in der Wissenschaft?

Ich sehe uns in der Pflicht für die verschiedensten Verfahren der Tierhaltung zu forschen und Verbesserungen zu erreichen. Ebenso aber auch unsere Produktionsweisen zu hinterfragen, die u. a. aus Notwendigkeiten im Kontext von Ökonomie, Ernährungssicherung und -sicherheit entstanden sind.

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Conrad Hegge

Student im 9. Semester des Bachelor-Studienganges „Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergie“ der Universität Hohenheim, Mitglied im Arbeitskreis Nachhaltigkeit

Dieses Bild erinnert mich daran, dass im Großteil der heutigen Betriebe die Trennung von Kalb und Mutterkuh schon wenige Stunden nach der Geburt mit einer von den Kühen getrennten Kälberaufzucht üblich ist. Das soll Vorteile im Management, Arbeitsaufwand und Infektionsschutz haben. Auch soll so eine stärkere Bindung zwischen Kuh und Kalb verhindert und der Trennungsschmerz verringert werden.

Ein gegensätzlicher Ansatz ist es die Kälber direkt mit den eigentlichen Mutterkühen oder mit sogenannten Ammen-Kühen aufzuziehen, die für das Säugen der Kälber abgestellt sind. Forschungsarbeiten zeigen, dass dies positive Effekte auf die Gesundheit von Kuh und Kalb sowie dessen Entwicklung haben kann. Wie sich der bloß verschobene, spätere Trennungsschmerz wiederum auswirkt oder bewertet wird, bleibt für mich als Frage im Raum. 

Milchwirtschaft bedeutet trotz möglicher Verbesserungen aber letztlich weiterhin, dass Tiere vor ihrer Lebenserwartung sterben müssen. Denn es gibt immer einen weiblichen und männlichen Kälberüberschuss, der dann für die Fleischproduktion gemästet und geschlachtet wird.

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Prof. Dr. Ludwig E. Hölzle

Leiter des Fachgebiets „Infektions- und Umwelthygiene bei Nutztieren“ der Universität Hohenheim, Fachtierarzt für Mikrobiologie und Fachtierarzt für Tierhygiene

Mein erster Gedanke zu diesem Bild ist: Es ist eher unrealistisch, dass die Kälber von sich aus auf das Plüscheuter schauen, wahrscheinlich ist ein anderer „Reiz“ in Blickrichtung vorhanden. 

Nichtsdestotrotz verbinde ich dieses Bild mit einem grundsätzlichen Problem in modernen Milchviehbetrieben: die mutterlose Aufzucht der Kälber. In vielen Fällen werden die Kälber nicht einmal zur Aufnahme der äußerst wichtigen „Ersten Milch“, dem Kolostrum bei der Mutter gelassen.

Das erscheint herzlos, kann aber verschiedentlich erklärt werden. Als Tierhygieniker sehe ich in der mutterlosen Aufzucht ein sehr effizientes Tool in Bezug auf Infektionsprophylaxe der Jungtiere. In den meisten Fällen sind es aber praktische oder ökonomische Gründe (Haltungssysteme, Arbeitsbelastung). 

Die frühe Trennung führt zu verschiedenen Stresssituationen und somit zu Gesundheitsproblemen (fehlende Mutterbindung, unphysiologische Futteraufnahme, etc.).

Mein Fazit ist deshalb: Moderne Milchviehhaltungen sollten die Kälberhaltung verbessern und versuchen, eine gemeinsame Haltung von Kühen und Kälbern in den ersten 14 Tagen zu realisieren.

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Pia Wallner

Tierpflegerin und stellvertretende Bereichsleiterin der Milchviehhaltung auf dem Meiereihof der Universität Hohenheim

In allen Milchviehbetrieben überall auf der Welt bekommen die Kälber am ersten Tag nach der Geburt die sogenannte Biestmilch, die erste Milch ihrer Mütter oder die anderer Kühe. Diese Biestmilch ist sehr reich an Antikörpern und Nährstoffen. 

In Biobetrieben wie auch im Kälberstall der Universität Hohenheim bekommen die Kälber anschließend die Milch von allen gesunden Kühen in der Herde.

Früher wurden in den Anbindeställen die Kälber hinter der Mutter angebunden. So waren sie in der Nähe der Mutter und durften in den ersten Tagen oder auch länger bei der Mutter trinken. Später wurde das Anbinden der Kälber aus Tierschutzgründen verboten, da es die Tiere in ihrem natürlichen Bewegungsdrang einschränkt. Für das Wachstum ist viel Bewegungsfreiheit jedoch sehr von Vorteil.

Wenn Kuh und Kalb in den ersten acht Stunden nach der Geburt getrennt werden, ist die Bindung in der Regel noch nicht nachhaltig aufgebaut und sie kommen meist gut damit zurecht.

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