Foto: Nikita Teryoshin

Nikita Teryoshin

Bonn, Deutscher Holstein Verband e.V.

Der Präsident des Deutscher Holstein Verbandes e.V. demonstriert den Zuchtprozess der letzten 50 Jahre. Auf der linken Seite die ursprüngliche Holstein-Kuh – rechts die nahezu perfekte, hochgezüchtete, sogenannte Turbokuh: Mit fester Fessel, einem optimalen Hinterbein-Winkel und einer um das Vielfache gesteigerten Milchleistung. Eine Kuh, die von Natur aus um die acht Liter Milch am Tag für ihr Kalb produziert, kann durch gezielte Züchtung und Computertechnik bis zu 50 kg Milch erreichen. Die optische Transformation erinnert mich an den Autobau der letzten fünf Jahrzehnte: Wenn links ein VW Käfer wäre, so könnte man die rechte Kuh guten Gewissens mit einem modernen SUV wie einem Tiguan oder Tuareg vergleichen.

zum Seitenanfang

Professor Mizeck Chagunda

Direktor des Centre for Tropical Livestock Genetics and Health (CTLGH) der Universität Edinburgh, Kooperationspartner der Universität Hohenheim

Aus irgendeinem Grund ist man in der Milchwirtschaft davon überzeugt, dass die schwarz-weiße Kuh die beste Milchkuh ist. Einige unserer eigenen Untersuchungen haben gezeigt, dass es in tropischen Gebieten möglicherweise viel besser ist, sich auf den Einsatz geeigneter Tiere beliebiger Rassen zu konzentrieren, als gezielt auf eine bestimmte Milchviehrasse zu setzen.

Ein Grund für die Fehleinschätzung der schwarz-weißen Kuh könnte darin liegen, dass die Tierhaltung in industrialisierten Ländern die Managementsysteme stark standardisierte. Diese funktionieren jedoch nur bei bestimmten Rahmenbedingungen. In Gebieten, in denen es an ausreichender Fütterung und Krankheitskontrolle mangelt, können solche Managementprobleme jedoch zu Tierschutzproblemen führen. 

Zudem ist die Genetik der schwarz-weißen Kuh nicht für jede Umgebung geeignet. Dies führt zu sehr geringer Produktivität, auch Produktivitätslücken genannt.

Um diese Produktivitätslücken zu schließen, ist die Zusammenarbeit von Tierzüchter:innen und Tiertechnologieexpert:innen erforderlich. Die richtigen Rassen in der richtigen Umgebung fördern Tierwohl, Produktivität und Nachhaltigkeit.

zum Seitenanfang

Raoul von Schmettow

Bereichsleiter der Milchviehhaltung auf dem Meiereihof der Universität Hohenheim

In den Modellen wird das Zuchtziel gezeigt, nicht unbedingt die Wirklichkeit. 

Mit gezielter Züchtung und Computertechnik allein erreicht man jedenfalls keine 50 Kilogramm Milchleistung. Der Anteil der Genetik an der Milchleistung beträgt nur 30 Prozent. 

Hohe Milchleistungen können erreicht werden, wenn alle Faktoren stimmen: Eine nicht nur auf Milchleistung ausgerichtete Züchtung, eine ausgewogene, saubere und wiederkäuergerechte Fütterung, eine tiergerechte Haltung mit viel Platz für die Kühe, eine gute Melktechnik und − der richtige, die Eigenheiten der Kühe berücksichtigende und freundliche Umgang mit den Tieren. 

Was hinzu kommt: Die Anforderungen an die Zucht haben sich halt geändert Bis in die1950er Jahre war die Kuh auf den meisten Bauernhöfen hier in Württemberg auch ein Arbeitstier, das den Pflug oder die Egge gezogen hat. Und eine gute Arbeitskuh war damals ähnlich wertvoll wie eine gute Milchkuh. 

Andererseits wurden auf den großen Milchviehbetrieben in Ostpreußen bereits in 1910er Jahren bei einzelnen Kühen von Hand 10.000 Liter Milch im Jahr ermolken.

zum Seitenanfang

Anna Neufeldt

Doktorandin am Fachgebiet für „Tiergenetik und Züchtung“ der Universität Hohenheim

In den vergangenen Jahrzehnten wurde durch gezielte Zucht vor allem die Milchleistung gesteigert.

Heutzutage wird dagegen großer Wert auf gesundheitliche Merkmale und eine ganzheitliche Zucht gelegt, anstatt nur die Milchleistung zu betrachten. Dementsprechend sollen Fehlzüchtungen wie etwa im Bereich der Haustiere vermieden werden. 

Der sogenannte Zuchtwert eines Tieres setzt sich daher neben Leistungsmerkmalen aus vielen Gesundheitsmerkmalen zusammen. Züchterisch kann beispielsweise die Hitzetoleranz, Parasitentoleranz oder Krankheitsanfälligkeit verbessert werden. 

Die moderne Tierzucht verfolgt deshalb einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem sowohl die Leistungen als auch die Gesundheit und das Tierwohl berücksichtigt werden.

zum Seitenanfang

Conrad Hegge

Student im 9. Semester des Bachelor-Studienganges „Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergie“ der Universität Hohenheim, Mitglied im Arbeitskreis Nachhaltigkeit

Die zwei Kuhmodelle stehen für mich für zwei Standpunkte, die scheinbar gegensätzlich sind, obwohl sie beide das gleiche Ziel haben, nämlich Nachhaltigkeit.

Den einen Standpunkt habe ich während eines Freiwilligenjahres auf einem Demeter-Bauernhof mit Jersey Milchvieh-Herde kennengelernt. Dort wurde Nachhaltigkeit auch im Sinne des Tierwohls gedacht: Die Kühe dort sollten nicht nur als „Milch- und Gebärmaschinen“ funktionieren, sondern die Möglichkeit haben, „Tier zu sein“ und einen Charakter auszubilden, was ihnen in der konventionellen Milchwirtschaft verwehrt zu bleiben scheint.

Den anderen Standpunkt kenne ich aus Diskussionen mit Menschen, die bei Nachhaltigkeit vor allem an die Effektivität von Nutztieren denken. Sie argumentieren, dass auch der Umweltschutz gewinnt, wenn neuere Züchtungen mit weniger Futter mehr Fleisch und Milch produzieren, als ältere Züchtungen. Denn so können Ressourcen wie Anbaufläche, Weidefläche gespart werden, die dann zum Beispiel der Biodiversität zur Verfügung stehen könnten.

zum Seitenanfang