Schätze der Sammlungen:
Die Arbeitsappelle des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg  [28.08.18]

Im Jubiläumsjahr präsentiert die Universität Hohenheim einmal im Monat ein Objekt aus einem ihrer Museen, aus einer wissenschaftlichen Sammlung oder vom Campusgelände.

Flache Hierarchien, Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und eigene Ideen einbringen können: Mit diesen und anderen Versprechungen versuchen Unternehmen potenzielle Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Rollen und Ansprüche der Arbeitgeber, aber auch der Arbeitnehmer geändert. Wie viel sich verändert hat, zeigen z.B. die sogenannten „Arbeitsappelle“ des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Alle bisherigen Objekte des Monats unter www.uni-hohenheim.de/objekt-des-monats.


Der schlafende Mann auf dem Poster zeigt einen gequälten Gesichtsausdruck. Auf ihm verteilt sich ein umgefallener Papierstapel. Halb auf seiner Brust sitzt ein mahnendes Teufelchen mit weiteren Papieren unter dem Arm. Dazu der Ratschlag „Unerledigte Arbeiten verfolgen dich noch im Schlafe. Schiebe nichts auf morgen, tu es gleich!“

Dies ist nur eines der gut 200 Poster mit Tipps für einen angenehmen Arbeitsalltag und ein erfolgreiches Berufsleben, die im Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg schlummern. Einige von ihnen hängen im Archiv selbst und als Kopien in der Bereichsbibliothek der Universität Hohenheim aus.

„Wir haben die Poster durch Zufall bei der Schließung einer Firma für Badezusätze im Schwarzwald gefunden“, erklärt die Leiterin des Wirtschaftsarchivs, Jutta Hanitsch. Die gezeichneten Bilder selbst und auch die darin enthaltenen Botschaften seien für sich genommen zwar keine Seltenheit, aber in dieser Vollständigkeit seien solche Poster sonst nicht erhalten.


Einblicke in die Vergangenheit

„Die Poster stammen aus den 1920er bis 1950er Jahren“, so Hanitsch weiter. Das spiegele sich auch in den Personendarstellungen wieder: „Frauen kommen nur sehr selten und eher als Randfiguren vor“, so Hanitsch. „Wenn überhaupt, wird die Frau am Herd oder in einer dem Mann untergeordneten Position dargestellt.“

Doch in der Küche hat die Frau dann auch tatsächlich das Sagen – ein Poster hebt diese Tatsache ganz besonders hervor. Ein Mann begutachtet das auf dem Herd stehende Essen und wird von seiner Frau brüsk der Küche verwiesen. Darunter die Textzeile „Jedem seine Aufgabe.“

Doch nicht nur das Verständnis der Geschlechterrollen wird deutlich. Auch die Rolle des Vorgesetzten ist anders dargestellt als man es heute kennt.

„Heute werden flache Hierarchien stärker betont“, weiß Prof. Dr. Marion Büttgen, Leiterin des Fachgebiets Unternehmensführung im Institut für Marketing und Management der Universität Hohenheim. „Ziel ist es, gemeinsam ein Team zu bilden, in dem auch der Chef ein Teil des Ganzen ist.“ Ein Miteinander auf Augenhöhe sei heute gewünscht, damals aber undenkbar gewesen.

„Auf den Postern werden Vorgesetzte als ältere Herren im Anzug dargestellt, die zweifelsfrei den Ton angeben“, erläutert Prof. Dr. Büttgen. „Die Mitarbeiter sollen ihren Beitrag leisten, den Chef aber nicht hinterfragen. Heute wäre diese Message auf einem Poster undenkbar.“


Treue versus Commitment

Neben klaren Hierarchien spielt auch Betriebstreue eine wichtige Rolle. So zeigt ein Poster die Versprechungen einer konkurrierenden Firma an einen Mitarbeiter als goldene Festung, fernab auf einem hohen Berg.

Der Mitarbeiter wird verleitet, den Weg hinauf anzutreten. Dieser führt allerdings über eine dünne Holzplanke. Was auf den ersten Blick vielleicht nicht auffällt: Das Brett ist deutlich angesägt. Der Schriftzug „Betriebstreue gilt auch für dich! Lass Dich auf verlockende Versprechungen nicht ein – sie enttäuschen immer“ lässt keinen Zweifel daran, dass es nicht ratsam wäre, das Konkurrenzangebot anzunehmen und die Planke zu beschreiten.

„Während und nach dem Krieg standen weniger Mitarbeiter zu Verfügung“, erklärt Hanitsch. „Deshalb waren Abwerbungsversuche durchaus nicht unüblich.“ Die Treue zum Betrieb habe allerdings einen hohen moralischen Stellenwert gehabt, den die Unternehmen auch durch Jubiläen und anderen Belohnungsmechanismen forciert hätten.

Ein anderes Poster zeigt einen Mann mit seiner entsetzt schauenden Familie in der Küche. Dazu der Satz „Durch Untreue – arbeitslos!“ Das Plakat suggeriert also, dass der abgebildete Herr seine Familie enttäuschte, indem er seinem Arbeitgeber untreu – im Sinne von Veruntreuung – war und dadurch seine Stelle einbüßte.

„Der Begriff ‚Treue‘ war Anfang des 20. Jahrhunderts in Bezug auf den Arbeitgeber weit verbreitet“, weiß auch die Expertin für Unternehmensführung, Prof. Dr. Büttgen. „Heute verwendet man stattdessen eher den Begriff ‚Commitment‘, der anderes konnotiert ist.“

Während das Wort ‚Treue‘ den moralischen Aspekt betont und einen Bestrafungsmechanismus bei ‚Untreue‘ erwarten ließe, bezeichne ‚Commitment‘ eine emotionale Verbundenheit. „Der Arbeitnehmer soll sich dem Unternehmen zugehörig fühlen. Nicht, weil er sonst Konsequenzen fürchten muss, sondern weil er sich mit ihm identifiziert und eine Verbundenheit empfindet.“


Verantwortung versus Empowerment

Außerdem rufen die Poster dazu auf, selbst Verantwortung zu übernehmen. So zeigt ein Poster eine überdimensionale Hand, die gottgleich von oben herab ein gerolltes Dokument an einen Mann übergibt, der sich als einziger aus einer Gruppe Arbeiter löst und der Hand mit Hilfe einer Treppe entgegen steigt. Dazu die Aufforderung „Übernimm Verantwortung – verbessere deine Zukunft.“

„Im Arbeitskontext der 1950er, 1960er Jahre bezog sich der Begriff ‚Verantwortung‘ darauf, die eigene Arbeit sorgfältig auszuführen“, erklärt Prof. Dr. Büttgen.

„Heute versteht man das Wort eher als Synonym für Empowerment, sprich: der Mitarbeiter möchte und kann mehr Autonomie erlangen, hat Entscheidungskompetenz und kann eigene Ideen mit einbringen. Im Idealfall wird er in diesem Bestreben von Vorgesetzten gefördert.“

Aufgrund der allgemeingültigen Aussagen vermutet Jutta Hanitsch vom Wirtschaftsarchiv, dass die Poster branchenunabhängig vertrieben wurden. „Hier geht es um ein grundsätzliches Verständnis von Arbeit, von Hierarchie und von der eigenen Rolle“, so Hanitsch. „Die Poster hätte man zu ihrer Entstehungszeit in jeder Fabrik und in jedem Büro finden können.“


Zusammenarbeit versus Teamarbeit

Dass Zusammenarbeit Erfolg verspricht, wird auf vielen Postern deutlich. Es werden Handballmannschaften und Autorenn-Teams gezeigt, ein Anzugträger mit einigen schlichter gekleideten Kollegen arbeitend am gemeinsamen Projekt.

Andere Poster machen deutlich, dass jeder Aufgabe ihre eigene Bedeutung zukommt und somit alle Aufgaben wichtig sind – auch, wenn der Einzelne das vielleicht nicht immer so wahrnehmen mag.

„Es kann sein, dass die Poster eine Reaktion auf Arbeiterunruhen waren“, vermutet Hanitsch. „Viele Menschen hatten das Gefühl, dass die Führungskräfte immer mehr verdienen, während die Mitarbeiter die eigentliche Arbeit machen.“ Deshalb sei es wichtig gewesen, die Bedeutung des einzelnen für das große Ganze darzustellen.

Gleichzeitig habe man suggeriert, dass Neid und Missgunst niemandem helfen und dass man sich mit Fleiß und Leistung hocharbeiten könne. „Die Vorgesetzten werden als hartarbeitende Menschen dargestellt, die ihren Mitarbeitern mit Rat und Tat zur Seite stehen und auch für Wünsche – sofern sie denn berechtigt seien – ein offenes Ohr haben.“

So läge es quasi in der Verantwortung des Mitarbeiters, im Umgang mit seinem Vorgesetzten das beste Ergebnis zu erzielen. Auch dessen Kritik solle er sich nicht verschließen.

Auch diese Darstellung wäre heute äußerst heikel, findet Prof. Dr. Büttgen. „Der heute häufig verwendete Begriff ‚Teamarbeit‘ bedeutet nicht mehr, dass jeder seinen Teil innerhalb der Hierarchiekette erfüllt. Vielmehr umfasst Teamarbeit auch, dass Entscheidungen gemeinsam getroffen und umgesetzt werden.“

Heute würde man sich mit solchen Botschaften auch nicht mehr nur an Mitarbeiter wenden: „Chefs sollten ebenfalls für Kritik offen sein und ihre Anforderungen und Wünsche auf Berechtigung überprüfen“, so Büttgen. „Das heutige Ziel ist, dass alle voneinander lernen und dass Kritik nicht immer nur von einer Seite ausgeht, sodass beide Seiten daran wachsen können.“

Ein Arbeitsappell, der ältere Mitarbeiter dazu auffordert, ihr Wissen an jüngere Kollegen weiterzugeben, sei heute ebenfalls nicht mehr zeitgemäß. „Auf den Plakaten sind die Vorgesetzten meist ältere Herren. Die Jungen sind immer in der unterlegenen Position und sollen von den Älteren lernen.“

Jetzt verstehe man unter Teamarbeit, dass jeder von jedem lerne und man sich gegenseitig unterstützt. „Je nach Themenfeld kann auch mal ein junger Mitarbeiter der Lehrer sein, z.B. im Bereich Digitalkompetenz. Dies bezeichnet man dann als Reverse Mentoring“, erklärt Prof. Dr. Büttgen.


Lebenssicherung versus Selbstverwirklichung

Ein Grund dafür sei auch, dass man heute nicht mehr nur zum Broterwerb arbeite. Dass dies Anfang des Jahrhunderts durchaus noch so war, zeige unter anderem ein Poster mit der Aufschrift „Wer richtig schafft, hat gut zu essen“, so Büttgen weiter.

„Heutzutage steht der Aspekt der Selbstverwirklichung viel mehr im Fokus. Man arbeitet nicht nur, um Grundbedürfnisse befriedigen zu können, sondern auch, um sich als Person weiterzuentwickeln, um Anerkennung zu bekommen und das Gefühl von Zufriedenheit und Erfüllung zu erlangen.“

Deshalb würden Unternehmen jetzt diese Aspekte bei der Mitarbeiterwerbung in den Vordergrund stellen. „Zudem versuchen Firmen heute stärker, ihren Mitarbeitern auch einen gewissen Service und ein Gefühl der Fürsorge zu bieten, angefangen bei Home-Office-Optionen und Kindertagesstätten bis hin zu Gesundheitsprogrammen, Fitnessräumen usw.“


Spare Strom und trenne Abfall – nicht alles hat sich geändert

Doch es gibt in der Sammlung auch Poster, die heute fast so aktuell sind wie damals: Die Appelle, Strom zu sparen, Abfall zu trennen und kein Material zu verschwenden, würden sicherlich immer noch viele Menschen für sinnvoll erachten.

Lediglich die Motivation dürfte sich verschoben haben: Wo in der Kriegs- und Nachkriegszeit vor allem die Betriebsinteressen und –kosten im Mittelpunkt standen, spielt heute auch der Umweltaspekt eine wesentliche Rolle.


Das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg

Alte Werbeplakate, seltene Kataloge, Fotos aus der Arbeitswelt, technische Zeichnungen, Verträge, Statistiken und mehr: Das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg (WABW) ist eine Fundgrube an wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Quellen. Unterlagen aus vier Jahrhunderten geben Aufschluss über die gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Landes. Eine faszinierende Palette aus den vielfältigen Bereichen des Wirtschafts- und Soziallebens lädt zum Stöbern und Recherchieren ein. Öffnungszeiten und Informationen zur Nutzung unter https://wabw.uni-hohenheim.de/67632

Bildquelle: Uni Hohenheim

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Text: Dannehl / Elsner

Kontakt für Medien:

Dipl. oec. Jutta Hanitsch, Universität Hohenheim, Stiftung Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg
T +49 711 459 23143, E j.hanitsch@uni-hohenheim.de


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