Grünlandmahd:
Scheuchen schützen Insekten und Spinnen  [16.07.25]

Studien der Unis Hohenheim & Tübingen zeigen: Mähen von Grünland schadet Insekten & Spinnen wohl stärker als gedacht / (Gebläse-)Scheuchen reduzieren Verluste deutlich

Spezielle Vergrämungstechniken können dazu beitragen, den Verlust an Insekten und Spinnen beim Mähen von landwirtschaftlich genutztem Grünland möglichst gering zu halten. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende im Projekt „InsectMow“ der Universitäten Tübingen und Hohenheim in Stuttgart. Als besonders effektiv erwies sich eine Vorrichtung, die − vor dem Mähwerk angebracht − die Tiere regelrecht wegbläst. Eine vorhergehende Studie der Forschenden hatte darüber hinaus Zweifel an einer gängigen Annahme geweckt: Nach ihren Ergebnissen sind traktorbetriebene Balkenmäher möglicherweise keine schonendere Alternative zu herkömmlichen Rotationsmähern, wenn es um die Schädigung von Kleinstlebewesen auf Wiesen und Weiden geht. Die Forschenden betonen jedoch, dass generalisierte Aussagen über die Mähtechniken schwierig sind, da die verschiedenen Tiergruppen unterschiedlich stark betroffen sind.


Wiesen und Weiden beherbergen eine oft unterschätzte Vielfalt an Tierarten. Vor allem die dort lebenden Insekten und Spinnen sind jedoch durch regelmäßiges Mähen erheblich gefährdet. Eine Reihe von Studien zeigt, dass bei der Mahd von landwirtschaftlich genutztem Grünland und der Weiterverarbeitung des Mähgutes bis zu 80 Prozent der Insekten getötet werden. Über viele Jahre hinweg führt dies bei bis zu fünf Mahden pro Jahr vermutlich zu einem massiven Rückgang der Insekten und Spinnen im Wirtschaftsgrünland.

Zudem entstehen durch das gekürzte Grün meist ungünstige mikroklimatische Bedingungen. So sind beispielsweise Schmetterlingsraupen, Käferlarven oder junge Heuschrecken insbesondere in den Sommermonaten ungeschützt der Hitze ausgeliefert und vertrocknen. Außerdem werden sie von potenziellen Räubern wie Vögeln besser gefunden.


Insektenschutz: Kein Unterschied zwischen Balken und Scheibenmäher

Der Frage, wie Grünland möglichst biodiversitätsschonend gemäht werden kann, gehen Forschende der Universitäten Hohenheim und Tübingen im Projekt „InsectMow“ nach, das vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) gefördert wird.

Dabei kamen die Forschenden zu einem überraschenden Ergebnis: „Wir konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden gängigsten Mähtechniken feststellen“, so Prof. Dr. Johannes Steidle von der Universität Hohenheim. Er ist Projektleiter und im Vorstand des Kompetenzzentrums Biodiversität und integrative Taxonomie (KomBioTa), einer gemeinsamen Einrichtung der Universität Hohenheim und des Naturkundemuseums Stuttgart.

„Wir konnten in der Praxis keinen Hinweis finden, dass der Balkenmäher, der oft als die umweltfreundlichere Alternative eingestuft wird, schonender für Insekten und Spinnen ist als der Scheibenmäher“, fasst er die Ergebnisse zusammen. Die Mahd mit beiden Geräten hatte ein ähnliches Ergebnis: „Im Vergleich zu den ungemähten Kontrollen, fanden wir im Durchschnitt 34 Prozent weniger Individuen in den mit dem Balkenmäher gemähten Parzellen und 36 Prozent weniger in den mit dem Scheibenmäher gemähten Flächen“, sagt Lea von Berg, Doktorandin am Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen.

Besonders betroffen waren weichhäutige und wenig mobile Gruppen wie Spinnen und Raupen, deren Anzahl nach dem Mähen um 55 Prozent abnahm. Heuschrecken und Käfer wurden weniger stark dezimiert. „Heuschrecken können durch einen Sprung schnell flüchten und entgehen häufig dem Mäher, während viele Käfer sich offenbar auf den Boden fallen lassen, anstatt das Gebiet zu verlassen“, erklärt die Wissenschaftlerin.


Biodiversitätsfreundliches Mähen durch Insektenscheuchen

Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig alternative Maßnahmen sind, um die Folgen des Mähens möglichst gering zu halten. „Ein vielversprechender Ansatz für biodiversitätsfreundliches Mähen sind verschiedene Vergrämungsgeräte, die vor dem Mähwerk montiert werden“, sagt Prof. Dr.-Ing. Stefan Böttinger vom Fachgebiet Grundlagen der Agrartechnik der Universität Hohenheim „Sie sollen die Tiere dazu bewegen, zu flüchten oder sich fallen zu lassen, und sie so vor Verletzungen oder Tod schützen.“

Neben einer Abstreifvorrichtung, bei der eine LKW-Plane auf einen verstellbaren Metallbügel montiert wird, testeten die Forschenden auch eine Art Rechen, bei dem herabhängende Metallzinken durch das Gras geführt werden, sowie eine Gebläsescheuche, die vor ein Scheibenmäher angebracht wurden.

Dabei hängt der Erfolg solcher Vergrämungsgeräte von mehreren Faktoren ab: „Bei einer niedrigen Fahrgeschwindigkeit von 5 km/h erwies sich die Insektenscheuche aus Lkw-Plane als sehr effektiv. Bei höheren Geschwindigkeiten von 12 km/h, die gängige Praxis sind, war dieses Gerät jedoch wirkungslos“, fasst Lea von Berg die Ergebnisse zusammen. „Hier zeigten robustere Modelle wie der Rechen mit Metallzinken oder das leistungsstarke Gebläse bessere Ergebnisse.“


Gebläsescheuche am effektivsten

Zudem beeinflussen die Vegetationshöhe und -struktur die Wirksamkeit der Geräte. Während die Lkw-Plane bei dichter und hoher Vegetation aufschwimmt und dadurch einen geringeren Scheucheffekt zeigt, durchdringen die stabileren Metallzinken die Vegetation besser und erzeugen eine stärkere Reaktion der Insekten.

Insbesondere das Gebläse erwies sich als äußerst wirksam, da es sämtliche untersuchte Tiergruppen von der gemähten Fläche vertrieb. Aufgrund des starken Luftstroms kann es Kleinstlebewesen nicht nur zur Flucht anregen, sondern auch Individuen aktiv wegblasen, die sonst nicht entkommen könnten. „Nur bei Spinnen konnten wir keinen Effekt des Gebläses beobachteten“, so Jonas Frank am Fachgebiet Grundlagen der Agrartechnik der Universität Hohenheim. „Dies liegt wahrscheinlich daran, dass auf den Wiesen hauptsächlich netzbauende Arten leben, die sich bei starkem Wind an ihren Netzen festklammern.“


Ungemähte Flächen als Rettungsinseln

Die Forschenden empfehlen jedoch unbedingt, auf den zu mähenden Wiesen beim Mähen ungemähte Rückzugsflächen zu erhalten. Insekten und Spinnen, die vor dem Mähwerk verscheucht wurden, können sich in diese Flächen zurückziehen. Dort entgehen sie der nachfolgenden Ernte und dem Vertrocknen auf den gemähten Flächen.

„Hierfür reicht es schon, kleine Inseln oder (Seiten-)Streifen ungemäht zu lassen“, betont so Prof. Dr. Oliver Betz von der Universität Tübingen „Insekten und Spinnen, die bei der Mahd aufgeschreckt oder verscheucht werden, flüchten sich in diese Schutzräume und können von dort aus die gemähten Flächen nach einiger Zeit wieder besiedeln.“


Kompromiss zwischen Wirtschaft und Natur

Die Forschenden sehen in einer Kombination aus innovativen Technologien, geschützten Rückzugsflächen und angepassten Mähpraktiken den Weg zu einem biodiversitätsfreundlichen Umgang mit Grünland. Zwar seien einige dieser Maßnahmen mit Kosten und Mehraufwand verbunden – etwa durch langsamere Fahrgeschwindigkeiten oder die Anschaffung spezieller Geräte wie Gebläsescheuchen.

Doch selbst einfache und kostengünstige Lösungen wie Abstreifvorrichtungen aus LKW-Plane könnten – richtig eingesetzt – nennenswerte Erfolge erzielen. Eine Anleitung zum einfachen Selbstbau dieser Insektenscheuche findet sich hier: https://t1p.de/len8r

„Eine nachhaltige Landwirtschaft muss Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen“, so Prof. Dr. Steidle. „Mit den richtigen Ansätzen können wir die Artenvielfalt bewahren, ohne die Wirtschaftlichkeit aus den Augen zu verlieren.“


Straßenränder – oft unterschätzte Grünflächen

Dabei müssen diese Maßnahmen nicht auf landwirtschaftlich genutzte Flächen beschränkt bleiben. Auch Straßenbegleitgrün – die oft unterschätzten Grünflächen entlang von Straßen und Wegen – könnte einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt leisten. Mit rund 680.000 Hektar Fläche in Deutschland könnten Straßenränder eine wichtige Rolle im Kampf gegen das Insektensterben spielen – sofern sie insektenfreundlich bewirtschaftet werden.

Erste Feldexperimente belegen, dass entsprechend konzipierte Mähköpfe gegenüber herkömmlichen Böschungsmähern einen erheblichen Teil der Insektenpopulationen beim Mähvorgang verschonen. Diese Erkenntnisse haben bereits Einzug in die kürzlich erschienene VDI-Expertenempfehlung VDI-EE 4350 gefunden und können Landwirtschaft, Kommunen und Naturschutz als wertvolle Leitlinien dienen.


HINTERGRUND: InsectMow − Entwicklung und Evaluierung insekten- und spinnenfreundlicher Mähtechniken als Beitrag zu einer nachhaltigen Form der landwirtschaftlichen Grünlandnutzung

Durch Umstellung auf eine insektenschonende Mähtechnik soll einer wesentlichen Ursache des Insektensterbens ohne größere finanzielle Einbußen für die Landwirte begegnet werden. Kooperationen mit einem führenden Mähgerätehersteller sowie der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft DLG e.V. stellen sicher, dass die Neuentwicklung Eingang in den Markt findet.

Das Projekt wird in Kooperation von Agraringenieuren und Tierökologen der Universitäten Hohenheim und Tübingen durchgeführt. Es wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in Höhe von rund 650.000 Euro gefördert. Laufzeit: November 2021 – Oktober 2025


HINTERGRUND: Kompetenzzentrum Biodiversität und integrative Taxonomie (KomBioTa)

Das Artensterben und insbesondere der Rückgang der Insekten stellt eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar. Der Verlust an Vielfalt betrifft Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen. Deren Fehlen gefährdet die Funktion von Ökosystemen und damit auch wichtige Serviceleistungen für den Menschen – von der Bestäubung der Pflanzen bis hin zu fundamentalen Ökosystemleistungen wie dem Reinigen von Luft und Wasser.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wurde KomBioTa im Jahr 2020 an der Universität Hohenheim und am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart aus Landesmitteln eingerichtet. Es bündelt zahlreiche Arbeitsgruppen an beiden Institutionen für gemeinsame Forschung und Lehre. Das Land Baden-Württemberg fördert das KomBioTa im Rahmen der Landesinitiative „Integrative Taxonomie“ mit jährlich rund 1 Million Euro.
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HINTERGRUND: Schwergewichte der Forschung

37,1 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler:innen der Universität Hohenheim 2024 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 350.000 Euro für apparative Forschung bzw. 150.000 Euro für nicht-apparative Forschung.
Mehr Schwergewichte der Forschung


Weitere Informationen:
Projekt InsectMow (mit Bauanleitung für die im Projekt entwickelte Insektenscheuche zum Selbstbauen):
https://insectmow.uni-hohenheim.de/


Publikation zum Einsatz von Insektenscheuchen bei der Grünlandmahd:
doi.org/10.1111/icad.12854


Publikation zur Evaluation von Scheiben- und Balkenmähwerk auf die Arthropodenfauna: doi.org/10.1111/1365-2664.14852

Text: Stuhlemmer

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Johannes Steidle, Universität Hohenheim, Fachgebiet Chemische Ökologie,
T +49 (0)711 459 23667, E jsteidle@uni-hohenheim.de

Prof. Dr.-Ing. Stefan Böttinger, Universität Hohenheim, Fachgebiet Grundlagen der Agrartechnik,
T +49 (0)711 459 23 200, E boettinger@uni-hohenheim.de

M.Sc. Jonas Frank, Universität Hohenheim, Fachgebiet Grundlagen der Agrartechnik,
T +49 (0)711 459 23553, E jonas_frank@uni-hohenheim.de

Prof. Dr. Oliver Betz, Universität Tübingen, Institut für Evolution und Ökologie,
T +49 (0)7071 29 72995 E, oliver.betz@uni-tuebingen.de

M.Sc. Lea von Berg, Universität Tübingen, Institut für Evolution und Ökologie,
T +49 (0)7071 29 74830, E lea.von-berg@uni-tuebingen.de


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