Er optimiert Prozesse für neuartige Lebensmittel  [15.12.23]

Ob Mikroalgen oder Hefe: Fermentation spielt bei der Herstellung vieler Lebensmittel eine Rolle. Prozesse wie diese lassen sich analysieren – und optimieren. Das ist das Forschungsfeld von Prof. Dr. Alexander Schaum. Er leitet seit 15.9.2023 das Fachgebiet Prozessanalytik an der Uni Hohenheim.


Die Digitalisierung spielt bei seiner Arbeit eine ganz zentrale Rolle – neben anderen Fachdisziplinen wie Verfahrenstechnik, Mathematik und Mikrobiologie. Diese Vielseitigkeit schätzt er an seiner Forschung, bei der er Praxisnähe mit abstrakten mathematischen Analysen koppelt. Und genau in dieser Reihenfolge vermittelt er die Themen auch seinen Studierenden.


Herr Schaum, das Fachgebiet hieß bei Ihrem Vorgänger „Prozessanalytik und Getreidewissenschaft“. Warum ist das Getreide weggefallen?

Der Schwerpunkt hat sich mehr auf die Prozesse verschoben und die Getreidewissenschaft als solche ist kein zentrales Thema mehr. Verarbeitungsprozesse für Getreideprodukte bleiben aber auch weiterhin im Fokus.

Wie sind Sie zum Thema Prozessanalytik gekommen?

Das war ein längerer Weg. Schon während der Schulzeit war ich immer sehr breit interessiert und wusste nicht, ob ich nun Mathe oder doch lieber Chemie studieren sollte. Aber ich hatte ich einen guten Freund, der mir Orientierung gab. Ich habe dann mit Mathe begonnen und später zu Technischer Kybernetik an der Uni Stuttgart gewechselt. Darüber habe ich meinen Doktorvater, Prof. Jaime A. Moreno, kennengelernt, bei dem ich in Mexiko City zum Thema Abwasseraufbereitung, Prozessanalytik und -überwachung die Diplomarbeit geschrieben und dann später auch promoviert habe.

Als Postdoc habe ich weiterhin zu Bioreaktoren und Verfahrenstechnik gearbeitet, unter anderem zur Trocknung von Lebensmitteln. In Kiel war ich am Lehrstuhl für Automatisierung und Regelungstechnik tätig, bevor ich nach Hohenheim kam. Das Thema Bioreaktoren und Fermentationsprozesse hat sich dabei wie ein roter Faden durch all meine Stationen durchgezogen.

Was genau ist eigentlich Fermentation?

Sie kennen Fermentation von der Herstellung von Sauerteig, Joghurt oder Käse: Da sorgen Mikroorganismen für eine biologische Stoffumwandlung. Hierdurch werden z.B. Lebensmittel bekömmlicher, schmackhafter, nährstoffreicher oder haltbarer. Aber man kann hiermit auch gezielt Mikroorganismen produzieren, etwa für die spätere Herstellung von Bier oder Wein. Das Grundprinzip kann recht flexibel genutzt werden.

Was ist es, dass Sie an Ihrem Arbeitsgebiet fasziniert?

Die Kombination von verschiedenen Fachdisziplinen, die man für die Prozessanalytik braucht. Bei der Automatisierung von Fermentationsprozessen etwa spielt nicht nur die Mikrobiologie eine Rolle, sondern auch physikalische Faktoren und informationstechnische Komponenten.

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Um Prozesse in Echtzeit zu analysieren, müssen wir Sensorik-Elemente im Bioreaktor integrieren. Anschließend gehen wir auf ein abstraktes Niveau, wenn wir das Ganze mathematisch analysieren. Daraus wiederum ziehen wir Schlussfolgerungen, was im Prozess passiert und wie man eingreifen kann. Man kann also, je nach Interesse, auf empirisch-experimentelle Arbeiten fokussieren oder auf abstrakte mathematisch-methodische Analysen.

Könnten Sie uns das an einem Beispiel erläutern?

Nehmen wir die Hefefermentation: Hefen verwenden für ihren Stoffwechsel Zucker und bilden daraus Kohlenstoffdioxid und Ethanol. Das Mengenverhältnis der Produkte hängt von der Zucker- und der Sauerstoffkonzentration der Umgebung ab: Hefe stellt ihren Stoffwechsel auf alkoholische Gärung um, wenn wenig Sauerstoff vorhanden ist.

Wir können steuern, ob die Hefen eher Ethanol produzieren oder mehr Biomasse. Für ein optimales Zell-Wachstum muss man die optimale Sauerstoffkonzentration in der Lösung finden und immer wieder nachjustieren. Dieser Punkt ist von Zellkultur zu Zellkultur unterschiedlich und hängt auch von den Prozessbedingungen ab.

Hier kommen wir ins Spiel: Wir messen Faktoren wie den Sauerstoffgehalt in der Lösung, die das Wachstum der Zellen beeinflussen. Andere Faktoren kann man nicht direkt messen, sondern man nimmt Proben und analysiert diese. Wir koppeln dann mathematische Modelle mit den Messungen in Echtzeit und aus dem Labor und entwickeln Algorithmen, über die wir Vorhersagen zum Prozess treffen können. Die Informationen betten wir über einen digitalen Zwilling ein und können darüber die optimale Sauerstoffkonzentration ermitteln.

Lässt sich das auch auf andere Organismen übertragen?

Ja, zum Beispiel auf Mikroalgen. Sie brauchen Licht und Nitrat zum Wachsen, und wir prüfen, wie viel Licht gut und ab wann es zu viel wäre.

Mikroalgen sind ja in Hohenheim an mehreren Fachgebieten ein Thema…

…ja, und das hat mich sehr gefreut, als ich es festgestellt habe. Da freue ich mich auch schon auf die Kooperation mit den Kolleg:innen. Schon in Kiel habe ich zu Mikroalgen geforscht, und möchte die Arbeit hier gerne fortführen.

Geht es auch um pharmazeutische Anwendungen von Mikroalgen?

Es kann um pharmazeutische Anwendungen gehen, z.B. als Antioxidationsmittel. Aber Mikroalgen haben verschiedene potenzielle Anwendungen, in Nahrungsmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln. Denken Sie etwa an Algensmoothies mit Chlorella, denen antioxidative Wirkung zugeschrieben wird und die viel Omega-3-Fettsäuren enthalten.

Das Thema ist mit vielen, teils noch ungeklärten ernährungswissenschaftlichen Fragen verbunden. So gibt es etwa das Argument, dass Fisch nur deshalb viele Omega-3-Fettsäuren enthalte, da er viele Algen zu sich nimmt, und man daher auch die Algen direkt essen könne. Nun bin ich kein Ernährungswissenschaftler, aber die Produktion von Mikroalgen ist auch mit vielen prozessanalytischen Herausforderungen verbunden. Das ist mein Fokus.

Was für Herausforderungen sind das denn?

Algen haben ein komplexes Wachstumsverhalten: Um bestimmte Stoffe zu bilden, müssen sie in Stresssituationen gebracht werden, wobei der Stress aber natürlich auch nicht zu stark werden darf. Wir ermitteln den optimalen Punkt dafür. Und dann wird es spannend, wenn man vom Labor zu realistischen Maßstäben übergeht. Wir prüfen dann, welche Sensoren aussagekräftige Rückschlüsse ermöglichen und welche man weglassen kann.

Fachgebiet Prozessanalytik

Prof. Dr. Alexander Schaum leitet seit 15.9.2023 das Fachgebiet in der Fakultät N. Es wurde von „Prozessanalytik und Getreidewissenschaft“ neu ausgerichtet, nachdem sein Vorgänger Prof. Dr. Bernd Hitzmann in den Ruhestand trat. mehr


Hier kommen wir dann in den Bereich der sogenannten intelligenten Bioprozesse, mittels welcher im Industriemaßstab zielgerichtet bestimmte Stoffe herstellt werden sollen. Damit können zum Beispiel auch neuartige Lebensmittel aus verschiedenen Zellkulturen gezüchtet werden.

Das klingt interessant. Können sich Studierende daran beteiligen?

Sehr gerne, wir bieten Studienprojekte in unterschiedlichen Bereichen an. Bei Herrn Hitzmann war die Lehre eher auf Getreidetechnologie fokussiert – das Thema übernimmt nun zum großen Teil Mario Jekle. Doch schließlich gehört ein Teil des Getreidetechnikums zu uns, wo wir Teig-Eigenschaften wie Viskosität etc. untersuchen. Das gehört zur Prozessanalytik, und auch in dem Bereich sind viele Studierenden-Projekte möglich.

In Zukunft möchten wir in der Lehre mehr Fermentationsstudien anbieten und darin Projekte schaffen. Einige gibt es auch schon, z.B. zur Optimierung des Wachstums von Weinhefen, ein Projekt in Kooperation mit einem Winzer.

Darüber hinaus bieten sich immer wieder neue Kooperationen mit Kolleg:innen an, durch die neue Projekte auch für Studierende entstehen.

Was ist für Sie gute Lehre?

Eine forschungs- und projektbasierte Lehre ist die beste Art, etwas zu lernen. Damit ein Thema nicht abstrakt bleibt, sollte man zunächst den Nutzen darstellen. Wenn man zum Beispiel erst darstellt, warum Getreidetrocknung wichtig ist, und dann erst zur Analyse von Trocknungsprozessen übergeht, ist die Motivation der Studierenden größer.

Und wenn man doch den Praxisbezug nicht gleich erkennen kann, dann wäre mein Rat, etwas Geduld mitzubringen und gerne auch nachzufragen. Denn insbesondere im Studium sieht man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.

Dass Studierende in Forschungsprojekte eingebunden sind, ist außerdem auch für uns wichtig: Ihr Feedback ist zum einen wichtig, damit wir Verständnisschwierigkeiten frühzeitig erkennen. Zum anderen kommen manchmal dadurch auch Fragen auf, die wir uns selbst gar nicht gestellt hatten.

Und ansonsten – haben Sie sich seit Ihrem Amtsantritt im Schwabenland schon eingelebt?

Ein wenig, wir sind noch dabei, die Gegend hier zu erkunden. Mit der Familie bin ich viel unterwegs, wir haben drei Kinder. Für uns ist Baden-Württemberg voller spannender Orte, die neu oder wieder entdeckt werden wollen…

Dann wünschen wir weiterhin viel Spaß bei Ihren Entdeckungstouren! Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Schaum!

Interview: Elsner / Klebs


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