Demokratie-Monitor 2025:
„Politik des Gehörtwerdens“ stärkt Demokratie in Ba-Wü [04.11.25]
Teil 2 des Demokratie-Monitors der Universität Hohenheim zeigt: Dialog-orientierte Bürgerbeteiligung fördert Zufriedenheit mit der Demokratie.
84 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg finden die Idee der „Politik des Gehörtwerdens“ gut. Und nahezu alle Befragten wünschen sich, dass auf die künftige Landesregierung diese Idee fortsetzt. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie von Kommunikationswissenschaftlern der Universität Hohenheim in Stuttgart. Dafür hat forsa im August und September 2.505 Menschen befragt.
Nach der Landtagswahl 2011 prägte die Landesregierung in Baden-Württemberg die „Politik des Gehörtwerdens“. Dazu zählten Erleichterungen für die Durchführung direkt-demokratischer Verfahren. Vor allem aber wurden Verfahren der dialogischen Bürgerbeteiligung entwickelt, erprobt und im Verwaltungshandeln verankert – sowohl auf Landes- als auch auf kommunaler Ebene. „Winfried Kretschmanns ‚Politik des Gehörtwerdens‘ hat vor vierzehn Jahren einen Nerv getroffen. Und auch heute noch finden die Menschen in Baden-Württemberg dialog-orientierte Beteiligung sehr wichtig. Und das parteiübergreifend“, sagt Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim.
Um festzustellen, wie wichtig den Menschen in Baden-Württemberg dialogische Beteiligung ist und wie zufrieden sie mit der „Politik des Gehörtwerdens“ sind, wurden 2.505 Menschen ab 16 Jahren in Baden-Württemberg befragt. Die repräsentative Umfrage wurde im Auftrag der Universität Hohenheim von forsa durchgeführt.
„Politik des Gehörtwerdens“ soll fortgesetzt werden
Die große Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg findet die Idee der „Politik des Gehörtwerdens“ sehr gut (46 %) oder eher gut (38 %). Deutlich kritischer wird hingegen ihre Umsetzung beurteilt. Ein Drittel der Befragten beurteilt die Umsetzung schlecht, knapp ein Viertel beurteilt sie gut und 44 Prozent antworten mit „teils / teils“. Hier zeigen sich klare Partei-Muster: Die Anhänger der Grünen beurteilen die Umsetzung am besten, die Anhänger der AfD am schlechtesten.
Zudem stellt Prof. Dr. Frank Brettschneider fest: „Personen, die auf der Landesebene direkte Demokratie, also Volksentscheide, gegenüber der repräsentativen Demokratie bevorzugen, sind mit der Umsetzung der ‚Politik des Gehörtwerdens‘ am wenigsten zufrieden. Sie haben sich 2011 darunter einfach etwas anderes vorgestellt.“ Und weiter: „Einigkeit herrscht beim Blick in die Zukunft: Die nächste Landesregierung sollte die ‚Politik des Gehörtwerdens‘ fortsetzen, sagen nahezu alle Befragten. Nur drei Prozent wollen dies nicht.“
Bürger:innen bevorzugen eine repräsentative Demokratie mit Dialog-Elementen
Knapp zwei Drittel der Befragten wünschen sich auf Landesebene eine Demokratie, in der grundsätzlich die gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten die politischen Entscheidungen treffen, in der sie aber vorher die Bürgerinnen und Bürger anhören und deren Empfehlungen in ihre Überlegungen einbeziehen. Dieser Befund ist seit 2021 stabil.
Nur 14 Prozent der Befragten wollen, dass wichtige politische Entscheidungen direkt von der Bevölkerung getroffen werden – per Volksentscheid (Landesebene) oder per Bürgerentscheid (kommunale Ebene). Und 13 Prozent sprechen sich ebenfalls für eine direkt-demokratische Variante aus, der aber eine dialogische Komponente vorangestellt sein sollte.
„Die Bürgerinnen und Bürger wollen gar nicht unbedingt selbst entscheiden, aber sie wollen transparent und verlässlich informiert werden und mitreden können“, fasst Prof. Dr. Brettschneider die Ergebnisse zusammen.
Dabei bestehen zwischen den Partei-Anhängerschaften Unterschiede hinsichtlich ihrer Demokratie-Präferenzen. Die Anhänger:innen nahezu aller Parteien präferieren auf Landesebene zu 56 bis 78 Prozent die repräsentative Demokratie mit Dialog-Elementen. Auch Menschen, die keiner Partei zuneigen, präferieren diese Variante. Die einzige Ausnahme sind die Anhänger:innen der AfD: Von ihnen bevorzugen 69 Prozent die direkt-demokratischen Varianten.
Darüber hinaus stellt Prof. Dr. Frank Brettschneider fest: „Je unzufriedener Menschen mit dem Funktionieren der Demokratie auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene sind, desto eher sprechen sie sich für direkte Demokratie aus“. Und: „Die Menschen in Baden-Württemberg unterscheiden sich in diesem Punkt kaum vom Bundesdurchschnitt.“
Dialogische Beteiligung vor allem auf kommunaler Ebene
Dialogische Bürgerbeteiligung wurde den Befragten wie folgt vorgestellt: „Unter dialogischer Beteiligung versteht man, dass der Bund, das Land oder die Stadt bzw. Gemeinde ihren Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gibt, sich bei Veranstaltungen oder im Internet an der Planung von Vorhaben und Projekten zu beteiligen.“ Diese Möglichkeiten wurden dann mit Beispielen versehen.
Prof. Dr. Frank Brettschneider stellt fest: „Die Menschen in Baden-Württemberg schätzen dialogische Beteiligung als sehr wichtig ein.“ Am wichtigsten finden sie sie auf kommunaler Ebene (90 % der Befragten finden dialogische Beteiligung auf kommunaler Ebene wichtig), dann auf Landes-Ebene (72 %) und schließlich auf Bundes-Ebene (65 %). Darin unterscheiden sie sich nicht vom Bundesdurchschnitt.
Bei der Frage, ob die derzeitigen Möglichkeiten für dialogische Beteiligung ausreichen, differenzieren die Menschen in Baden-Württemberg deutlich zwischen Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene: Während 60 Prozent die Möglichkeiten dialogischer Beteiligung auf kommunaler Ebene als ausreichend empfinden, trifft dies nur auf 29 Prozent der Befragten zu, wenn es um die Landes-Ebene geht. Und nur 23 Prozent empfinden die Möglichkeiten auf Bundes-Ebene als ausreichend.
Insgesamt schätzen die Menschen in Baden-Württemberg den Umfang der Beteiligungsmöglichkeiten geringfügig besser ein als der Bundesdurchschnitt. Sie sind mit den Beteiligungsmöglichkeiten auch etwas zufriedener als der Bundesdurchschnitt. Dennoch gibt es Unterschiede nach den Ebenen des politischen Systems: Mit den Beteiligungsmöglichkeiten auf Bundes-Ebene sind nur 14 Prozent zufrieden. Auf Landes-Ebene sind es 20 Prozent und auf kommunaler Ebene 44 Prozent.
Allerdings merkt Prof. Dr. Frank Brettschneider an: „Auch wenn die Menschen in Baden-Württemberg dialogische Beteiligung wichtig finden, so würden doch nicht alle an entsprechenden Beteiligungsformaten teilnehmen. 14 Prozent haben gar kein Interesse daran, sich zu beteiligen.
43 Prozent wollen sich selbst nicht konkret beteiligen, aber sie wollen über den Fortgang der Dinge informiert werden. Weitere 43 Prozent sind bereit, sich selbst auf dem Weg dialogischer Bürgerbeteiligung einzubringen.“
46 Prozent nahmen an einem Beteiligungs-Verfahren teil
Tatsächlich geben 46 Prozent an, in den letzten zehn Jahren mindestens einmal an einem entsprechenden Beteiligungs-Format teilgenommen zu haben – das liegt geringfügig über dem Bundesdurchschnitt. Die Zufriedenheit mit dem Ablauf des Verfahrens (48 % Zufriedene) ist größer als die Zufriedenheit mit dem inhaltlichen Ergebnis der Beteiligung (38 % Zufriedene). In beiden Fällen ist die Zufriedenheit in Baden-Württemberg größer als im Bundesdurchschnitt.
Diejenigen, die mit dem Verfahren und mit dem Ergebnis zufrieden sind, vertrauen auch den kommunalen Institutionen am meisten und sind am zufriedensten mit dem Funktionieren der kommunalen Demokratie. Diejenigen, die mit dem Verfahren und mit dem Ergebnis unzufrieden sind, misstrauen auch den kommunalen Institutionen und sind am unzufriedensten mit dem Funktionieren der kommunalen Demokratie.
Knapp die Hälfte der Menschen, die sich beteiligt haben, geben an, dass die Bürgerbeteiligung ein Schritt in die richtige Richtung war. Nur 18 Prozent sagen, es habe ich um eine Show-Veranstaltung gehandelt.
Dass in Baden-Württemberg die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie auf Landesebene zehn Prozentpunkte größer ist als im Bundesdurchschnitt (63 % vs. 53 %), führt Prof. Dr. Frank Brettschneider auch auf die „Politik des Gehörtwerdens“ zurück. Und: „Gelungene Dialog-Verfahren steigern das Vertrauen in die beteiligten politischen Institutionen. Sie stärken die repräsentative Demokratie“.
HINTERGRUND: Demokratie-Monitoring der Universität Hohenheim
Seit 2021 führt forsa im Auftrag von Prof. Dr. Frank Brettschneider jährlich eine repräsentative Umfrage zum Demokratie-Verständnis der Bevölkerung durch. Die Ergebnisse sind auf Bundes- und auf Landesebene (Baden-Württemberg) repräsentativ. Bei einem Teil der Fragen setzt die Studie jedes Jahr einen anderen Schwerpunkt. In diesem Jahr wurden 2.505 Menschen in Baden-Württemberg und 4.057 deutschlandweit befragt. In Teil 1 des Demokratie-Monitors standen die Demokratie-Zufriedenheit, das Institutionenvertrauen sowie populistische Einstellungen im Mittelpunkt.
Weitere Informationen
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Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft insb. Kommunikationstheorie
+49 (0)711 459 24030, frank.brettschneider@uni-hohenheim.de

