Sportwetten: Welches Modell ist besser für die Gesellschaft – staatliches Monopol oder Konzessionssystem?  [15.12.10]

Prof. Dr. Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim: „Die Politik sollte auf die gesellschaftliche Wohlfahrt achten und sich nicht auf Grund einseitiger Einnahme-Erwartungen und Szenarien entscheiden.“

Herr Prof. Becker, die Politik diskutiert zwei Alternativen, wie Sportwetten reguliert werden können. Eine Alternative ist die Beibehaltung des staatlichen Monopols, die andere Alternative ein Konzessionssystem. Welches System favorisieren Sie?

Bevor sich diese Frage beantworten lässt, müssen realistische Zahlen über die Umsätze und Informationen über das Nutzerverhalten derjenigen vorliegen, die an Sportwetten teilnehmen.

 

Wie lassen sich die Umsätze auf dem Markt für Sportwetten beziffern?

Bisher nur durch Schätzungen. Denn es existieren keine Statistiken über den Umsatz. Vor allem die Umsatzzahlen der ausländischen Anbieter sind völlig unbekannt. Nur die Umsatzzahlen des staatlichen Anbieters ODDSET sind öffentlich.

 

Woher stammen die Schätzungen und wie realistisch sind sie?

Die Schätzungen gründen sich leider allein auf Zahlenangaben der Sportwetten-Anbieter selbst. Sie wurden im Rahmen einer Studie des Marktforschungsinstituts Goldmedia zum „Glücksspielmarkt Deutschland 2015“ im Oktober 2010 veröffentlicht. In dieser Studie schätzt Goldmedia den Umsatz bei Sportwetten auf dem deutschen Markt auf insgesamt 7,8 Mrd. €. Doch nach meinen Berechnungen sind diese Schätzungen einseitig und viel zu hoch.

 

Welche Folgen hat eine zu hohe Schätzung?

Das Hauptproblem sehe ich darin, dass die Politik und auch die Presse sich darauf beziehen. Die Zahlen von Goldmedia bilden mittlerweile sogar die Grundlage für darauf aufbauende Untersuchungen. So berechnet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte und Touche in einer Studie zum deutschen Sportwettenmarkt vom September 2010 die Staatseinnahmen bei verschiedenen Szenarien mit den unrealistischen Zahlen von Goldmedia.

 

Wie hoch ist Ihre Berechnung?

Ich komme lediglich auf 3,4 Mrd. €.

 

Viel weniger als die Hälfte der Goldmedia-Schätzung. Wie kommen Sie darauf?

Wir beziehen uns zum einen auf eine repräsentative Befragung der Nachfrager, das heißt der Sportwetter selbst. Danach haben 3,8% der Bevölkerung zwischen 16 und 65 Jahren in den letzten zwölf Monaten an einer Sportwette einschließlich Pferdewetten teilgenommen. Das sind 1,96 Mio. Bundesbürger.

 

Wie viel gibt jeder dieser Sportwetter im Durchschnitt aus?

Auch das mussten wir über einen Umweg herausfinden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat die Sportwetter zwar nach ihren jeweils getätigten Ausgaben für Sportwetten befragt. Aber leider war die Bundeszentrale nicht bereit, uns diese Angaben zur Verfügung zu stellen. Von daher blieb nur die Möglichkeit, diese Angaben auf anderem Weg zu errechnen. Dazu haben wir Zahlen aus dem Geschäftsbericht von „bwin“, einem der führenden Wettanbieter, genommen und daraus einen durchschnittlichen Wett-Einsatz pro „aktivem Sportwetter“ von 1743 € pro Jahr errechnet. Wenn Sie diesen Betrag mit 1,96 Mio. Bundesbürgen multiplizieren, kommen Sie auf einen Jahresumsatz auf dem Markt für Sportwetten von lediglich 3,4 Mrd. €.

 

Sind Ihre Zahlen wirklich realistischer als die Goldmedia-Schätzung?

Ja. Der von uns errechnete Betrag dürfte aber immer noch über dem tatsächlichen Jahresumsatz liegen. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die deutschen Bundesbürger, die in den letzten zwölf Monaten an einer Sportwette teilgenommen haben, pro Kopf im Durchschnitt deutlich weniger ausgeben, als die „aktiven Sportwetter“ von „bwin“. Andererseits ist davon auszugehen, dass ein Sportwetter eventuell nicht nur bei einem Anbieter wettet. Doch dieser Effekt dürfte relativ gering im Vergleich zu dem ersten Effekt ausfallen. Die 3,4 Mrd. € sind daher als eine Obergrenze für den tatsächlichen Umsatz anzusehen.

 

Ist bei einem jährlichen Sportwetten-Umsatz von 3,4 Mrd. € ein Konzessionssystem sinnvoll?

Das ist eine politische Entscheidung, in die mehrere Erwägungen einfließen sollten. Hier sehe ich zum einen die staatlichen Einnahmen und zum andern die gesellschaftliche Wohlfahrt.

Wenn der Staat privaten Anbietern Wettkonzessionen erteilt und hieraus Einnahmen hat, die sich entweder an dem Umsatz oder dem Rohertrag, d.h. dem Umsatz minus der Gewinnausschüttungen, orientiert, dann hängt die Berechnung der zu erwartenden staatlichen Einnahmen maßgeblich von dem tatsächlichen Umsatz auf diesem Markt ab. Wird der Umsatz zu hoch eingeschätzt, so fallen die tatsächlichen staatlichen Einnahmen geringer aus als erwartet. Mit unseren Zahlen würden sie auf weniger als die Hälfte sinken. Die Politik sollte sich nicht auf Grund einseitiger Zahlen bzw. einseitiger Szenarien entscheiden.

Hinzu kommt: Wenn ein Konzessionssystem dem Spielerschutz gerecht werden und der steuerrechtlichen Kontrolle des Staates unterliegen soll – wie in Italien oder Frankreich –, müssen neue Institutionen geschaffen werden. In den beiden Ländern haben die Spieler sogenannte Spielerkonten. Die staatlichen Aufsichtsbehörden können jede Einzahlung eines Spielers kontrollieren. Durch den Aufbau der dafür notwendigen IT-Infrastruktur und auch für die Kontrolle und Überwachung entstehen erhebliche Kosten.

 

Sie würden also eher für die Beibehaltung des staatlichen Monopols plädieren?

Das ist eine Frage der Ausgestaltung. Die Einnahmen des Staates bei Beibehaltung eines staatlichen Sportwettenmonopols hängen maßgeblich davon ab, ob ein staatliches Angebot im Internet erlaubt wird. Bei einem staatlichen Sportwettenangebot im Internet ist im Monopolfall mit wesentlich höheren Staatseinnahmen zu rechnen als bei einem Konzessionssystem. Die Einnahmen fallen wesentlich höher aus, als in den Szenarien von Deloitte und Touche abgebildet. Diese gehen in ihrem Szenario des staatlichen Monopols von einem Internetverbot aus. Je attraktiver das staatliche Angebot ist – und zu einem attraktiven Angebot gehört auch ein Angebot im Internet – umso höher fallen auch die staatlichen Einnahmen aus. Je stärker gegen ausländische Anbieter vorgegangen wird, umso höher wird der Marktanteil des staatlichen Anbieters und werden damit auch die Einnahmen sein.

 

Was meinen Sie mit gesellschaftlicher Wohlfahrt?

Letztendlich sollten nicht die Staatseinnahmen für das staatliche Handeln maßgeblich sein, sondern wie viel Glücksspiel für die deutsche Gesellschaft als angemessen angesehen wird. Rechtliche Gebote bzw. Verbote, an die sich die meisten Bürger nicht halten, sollten überdacht werden. Andererseits sind auch Kosten zu berücksichtigen, die durch die Zunahme pathologischer Spieler entstehen. Die Zahl wäre bei einem Konzessionssystem übrigens wahrscheinlich höher als bei einem Staatsmonopol.


Andererseits ist die gegenwärtige Situation eines unregulierten Marktes für Sportwetten sicherlich nicht auf Dauer tragbar. Es gibt also keine generelle Antwort auf die Frage, was aus wohlfahrtstheoretischer Sicht vorzuziehen ist, ein Monopol- oder ein Konzessionssystem. Es hängt ganz entscheidend von der jeweiligen Ausgestaltung ab, welches System vorzuziehen ist.

 

Hintergrund: Die drei Quellen und Berechnungsgrundlagen der Hohenheimer Forschungsstelle für Glücksspiel

Quelle 1: Nach einer Bevölkerungsumfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben 3,8% der bundesdeutschen Bevölkerung zwischen 16 und 65 Jahren in den letzten zwölf Monaten an einer Sportwette einschließlich Pferdewetten teilgenommen.

Quelle: 2: 51,6 Mio. Bundesbürger sind zwischen 16 und 65 Jahren. 3,8% davon sind 1,96 Mio. Bundesbürger in Deutschland.

Quelle 3: Der Wettanbieter „bwin“ hat 1,754 Mio. aktive Sportwettkunden, die einen Bruttospielertrag (BSE) von 226,307 Mio. €, also von 129 € pro „aktivem Sportwetter“ brachten. Bei einer Sportwetten-Marge von 7,4% ergibt sich ein durchschnittlicher Wett-Einsatz von 1743 € pro Jahr.

Berechnung: 1,96 Mio. Sportwetter x 1743 € ergibt 3,416 Mrd. € Jahresumsatz.

Quellen:

1. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Glücksspielverhalten in Deutschland 2007 und 2009. Ergebnisse aus zwei repräsentativen Bevölkerungsbefragungen.

2. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2010, S. 42.

3. bwin: Geschäftsbericht 2009, S. 3 u. 29.

 

 

 

Text: Töpfer

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Timan Becker, Forschungsstelle Glücksspiel, Tel.: 0711 459-22599, Email:mailto:tilman.becker@uni-hohenheim.de


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