Schießpulver, Dünger, Viagra:
Ausstellung zeigt Stickstoff, Nitrat, Nitrit als Vielzweck-Chemikalien  [20.04.15]

Fr., 24. April, 11:00 Uhr: Presse-Vorbesichtigung der Ausstellung „Auf Gedeih und Verderb“, Museum zur Geschichte Hohenheims, Spielhaus, Exotischer Garten, 70599 Stuttgart
So., 26. April, 11:00 Uhr: offizielle Ausstellungseröffnung

Schwarzpulver, Dünger, Lachgas, Viagra: Seit dem 15. Jahrhundert haben die Gewerbe, die mit der Aufbereitung und Verarbeitung von Stickstoff und Nitrat ihr Geld verdienen, einen Aufschwung erlebt. Trotzdem genießen die vielseitig einsetzbaren Verbindungen auch heute noch den Ruf gesundheitsschädigend zu sein. Die Ausstellung „Auf Gedeih und Verderb“ der Universität Hohenheim zeigt nun alle Nutzungsmöglichkeiten von Stickstoff, Nitrat und Nitrit: in der Waffenindustrie, in der Landwirtschaft oder auch in der Medizin. Öffnungszeiten: Samstag, 14.00 – 17:00 Uhr, Sonn- und Feiertag 10:00 – 17:00 Uhr.

 

Vorderladergewehre liegen zwischen einem Schinken, Feuerwerkskörpern und Gemüsekörben. Eine Installation zeigt die Arbeitsschritte in einer Salpetersiederei, ein Film klärt dazu auf. Auf den ersten Blick wirken die Ausstellungsstücke wenig zusammenhängend. Und doch haben sie etwas gemeinsam: Stickstoff, Nitrat und Nitrit.

„Stickstoff-Verbindungen begegnen uns ständig im Alltag“, sagt Prof. Dr. Ulrich Fellmeth vom Universitätsarchiv der Universität Hohenheim. „Bei der Pflanzendüngung, Tierernährung, Haltbarkeit von Lebensmitteln oder in der Medizin – überall werden sie verwendet.“

 

Ab dem 15. Jahrhundert war die militärische Nutzung von Schwarzpulver für europäische Staaten überlebenswichtig

Ab dem 15. Jahrhundert war die militärische Nutzung von Schwarzpulver für europäische Staaten überlebenswichtig

Vom Dynamit zum Dünger

Angefangen habe alles wohl im 15. Jahrhundert, als der Bedarf nach Schwarzpulver dem universellen Treibmittel für Kanonen, Gewehre, Pistolen und Granaten immer größer wurde. Erst im 20. Jahrhundert wurde das Schwarzpulver durch Dynamit ersetzt. „Aber auch der Grundbestandteil von Dynamit ist ein Salpetersäureester, also ein auf Stickstoff basierendes Explosivmittel“, so Prof. Dr. Fellmeth.

Salpeter, ein Nitrat, ist spätestens seit dem 19. Jahrhundert ein sehr nachgefragtes Gut bei der Stickstoffdüngung der Böden. Ohne Salpeter seien die Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft des 19. und 20. Jahrhunderts gar nicht vorstellbar gewesen, so der Experte der Universität Hohenheim.

„Auch heute wären wir ohne Salpeter für die Düngung bei der Ernährung der ständig wachsenden Weltbevölkerung heillos verloren.“ Noch länger nutzt man Nitrit und Nitrat nur noch, um Fleisch- und Wurstwaren haltbar zu machen.

Dynamit ersetzte Anfang des 20. Jahrhunderts das Schwarzpulver - doch auch hier spielt Salpeter eine entscheidende Rolle

Dynamit ersetzte Anfang des 20. Jahrhunderts das Schwarzpulver - doch auch hier spielt Salpeter eine entscheidende Rolle

 

Angst vor Gesundheitsschäden unbegründet

Trotzdem genießen Stickstoff, Nitrat und Nitrit auch heute noch einen eher weniger guten Ruf, weiß Prof. Dr. Fellmeth. „Viele glauben bis heute, nitratreiche Salate oder Gemüse könnten Gesundheitsschäden beim Menschen hervorrufen, sogar krebserregend sein. Mit der Ausstellung wollen wir diese Ängste ausräumen.“

Zwar könne Nitrat im Magen-Darm-Trakt in Ausnahmefällen in Nitrosamine umgewandelt werden, welche krebserregend seien, so Prof. Dr. Fellmeth weiter. Dafür müsse aber schon einiges schieflaufen. „Damit Nitrosamine gebildet werden, muss im Magen ein ganz spezieller Bakterienstamm vorherrschen und gleichzeitig eine Vitamin C-Unterversorgung vorliegen. Doch mit Gemüsen werde immer auch Vitamin-C aufgenommen.“

Auch beim Thema Haltbarkeit von Wurst und Fleisch sind Nitrat und Nitrit nicht wegzudenken

Auch beim Thema Haltbarkeit von Wurst und Fleisch sind Nitrat und Nitrit nicht wegzudenken

Auch müsse man, erklärt der Experte weiter, eine wirklich sehr hohe Menge an Nitrat zu sich nehmen. Und diese hohe Dosis sei in keinem der Lebensmittel enthalten, die wir tagtäglich zu uns nehmen.

 

Stickstoff, Nitrat und Nitrit: medizinische Allzweckwaffen

Ganz im Gegensatz zu dieser weit verbreiteten Angst, werden Nitrat, Nitrit, Nitroglyzerin und Stickstoffmonoxid nämlich vielfach in der Medizin eingesetzt. „Stickstoffmonoxid, vom Körper aus Nitrat oder Nitroglycerin gebildet, wirkt gefäßerweiternd, darum werden auch heute noch Nitroglyzerin-Kapseln zum Zerbeißen oder Sprays bei einer Angina Pectoris verabreicht“, sagt der Toxikologe Prof. Dr. Hans Georg Classen. „Es ist ein ganz gängiges Medikament.“

Egal ob Stickstoffdüngung oder Sprengstoff: Salpeter ist vielseitig einsetzbar

Egal ob Stickstoffdüngung oder Sprengstoff: Salpeter ist vielseitig einsetzbar

Stickstoffmonoxid ist auch die Wirkform von Viagra. Und Distickstoffmonoxid wird in der Medizin als Lachgas bei Narkosen eingesetzt. „In der Medizin ist es also vollkommen normal auf Stickstoff, Nitrat und Nitrit zurückzugreifen“, lautet das Fazit von Prof. Dr. Classen.

 

Ozonbildung, Saurer Regen und Algenpest

Doch trotz aller Vorteile und der Tatsache, dass viele Ängste unbegründet sind, gibt es auch Gefahren, die von Nitrat, Nitrit und Stickstoff ausgehen. „Stickstoffdioxid ist ein gefährliches, aber in industriellen Ballungsräumen verbreitetes Reizgas. Stickstoffoxide bilden das wichtigste Reizgas im Sommersmog, der massiv zur Ozonbildung beiträgt. Und Stickoxide tragen in Form von salpetriger Säure im ‚Sauren Regen‘ massiv zum Waldsterben bei.“

Auch bei der Düngung gelte die Regel: in Maßen – nicht in Massen. „Bei Überdüngung werden überschüssige wasserlösliche Nitrate aus dem Boden ausgewaschen und gelangen so ins Grundwasser“, so Prof. Dr. Fellmeth.

Ausgewaschene Nitrate und stickstoffhaltigen Niederschläge aus der Atmosphäre können zu Algenpest, Fischsterben oder anderen Belastungen für die Gewässer führen. Und Lachgas sei, trotz aller Vorteile bei der Narkose, ein bedeutender Bestandteil der Treibhausgase, die für die globale Erwärmung verantwortlich sind. „Das wollen wir alles mit der Ausstellung zeigen: Gedeih und Verderb von Stickstoff, Nitrat und Nitrit.“

Text: C. Schmid / Klebs

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Ulrich Fellmeth, Universität Hohenheim, Universitätsarchiv
Tel.: 0711/459-22119, E-Mail: fellmeth@uni-hohenheim.de


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