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Schwereloser Nervenkitzel [27.04.15]
27.4., 06:55 Uhr, Schweden, Basis ESRANGE: Experiment der Universität Hohenheim zeigt, wie stark Schwerelosigkeit Prozesse in Zellen beeinflusst.
Der Countdown läuft, die Rakete mit den Zellproben startet – dann geht es sechs Minuten lang - ca. 250 km- hinauf in den Himmel. Heute um 06:55 startete die Texus 52 auf ihren Parabelflug in den Himmel Schwedens. An Bord: Nervenzellen. Das Experiment soll zeigen, wie stark Zellprozesse von der Schwerelosigkeit beeinflusst werden. In der Praxis könnten diese Erkenntnisse hilfreich für die Medizin und Raumfahrt sein.
Seit knapp drei Wochen ist Dr. Florian Kohn vom Fachgebiet Membranphysiologie der Uni Hohenheim in Schweden, bereitet die Proben für ihren kurzen Rundflug vor. Einen Raketenstart gab es bereits, der zweite ist heute an der Reihe.
Eine technische Raffinesse während des 6-Minuten-Flugs: Noch in der Luft schaltet sich ein konfokales Laserscanning-Mikroskop ein, das extrem hochauflösende Aufnahmen der gefärbten Nervenzellen und ihrer Prozesse in der Schwerelosigkeit anfertigt.
„Die Entwicklung des Lebens auf der Erde hat unter konstanter Schwerkraft stattgefunden. Nehmen wir die Schwerkraft weg, laufen viele Prozesse anders ab. Das wollen wir untersuchen und herausfinden, wie man die nun anders ablaufenden Prozesse gezielt einsetzen kann“, begründet Kohn am Telefon.
Langsamere Reflexe, besserer Signaltransport
Im Detail will Kohns Arbeitsgruppe zwei gefundene Effekte genauer untersuchen.
„Einmal ist messbar, dass die Geschwindigkeit, mit der Nervenzellen unter Schwerelosigkeit miteinander kommunizieren, abnimmt. Laut Weltraummedizinern hat das beispielsweise einen Einfluss auf die Reflexe von Astronauten. Sie sind also ein bisschen langsamer im All.“
Der zweite Effekt: Das Ruhepotenzial von Nervenzellen unter Schwerelosigkeit verringert sich. So kann eine Nervenzelle, die der Schwerelosigkeit ausgesetzt ist, Signale einfacher an andere Zellen weitergeben.
Möglicher Nutzen für bemannte Raumfahrt und Medizin
An sich handelt es sich bei dem Experiment um reine Grundlagenforschung. „Wir wollen besser verstehen, wie Nervenzellen funktionieren. Die Schwerelosigkeit ist ein Werkzeug, um die Zellen zu beeinflussen.“
In der Praxis könnte Kohns Forschung allerdings auch dazu beitragen, das Wohlbefinden von Astronauten zu steigern – oder sogar auf der Erde medizinischen Nutzen zu stiften. „Theoretisch wäre denkbar den Schwerelosigkeitseffekt zu nutzen, um die Wirkung von Medikamenten zu verbessern, indem man die Zellmembranen beeinflusst und die Wirkstoffe so schneller zu ihrem Ziel gelangen.“
Ursache könnte im Zytoskelett der Zelle liegen
Die Ursache für die beobachteten Effekte könnte unter anderem Einflüsse von Schwerkraft und Schwerelosigkeit auf das Stützskelett der Zelle sein, vermutet Kohn.
„Dieses sogenannte Zytoskelett hat die Aufgabe, die dreidimensionale Form der Zelle zu erhalten. Außerdem verbindet es die Zellmembran mit dem Zellkern“, erklärt der Physiologe. Der Auf- und Abbau dieses Zellenskeletts hänge sehr stark von Stoffströmen in und um die Zelle ab, der sogenannten Diffusion. „In der Schwerelosigkeit findet die Diffusion jedoch nicht statt. Fehlt diese, sollte das eigentlich einen messbaren Effekt haben.“
Text: C. Schmid / Klebs
Kontakt für Medien:
Dr. Florian P.M. Kohn, Universität Hohenheim, Fachgebiet Membranphysiologie,
Tel.: 0711 459-22273, E-Mail: Florian.P.M.Kohn@uni-hohenheim.de