NS-Zeit & Folgen an der Uni Hohenheim

Aufarbeitung geht weiter  [06.10.23]

Gedenkort auf dem Uni-Friedhof: Seit 2018 erinnert ein Mahnmal an das Schicksal der Hohenheimer Zwangsarbeiter. Bild: Uni Hohenheim.

Gedenkorte auf dem Campus und eine wissenschaftliche Publikation erinnern seit 2018 an Unrecht, das während der Zeit des Nationalsozialismus auch in Hohenheim geschehen ist. Im Vorfeld des 200-jährigen Uni-Jubiläums wertete eine Historikerin dazu knapp drei Jahre lang Quellen aus der NS-Zeit und den folgenden Jahrzehnten aus. Ist das Kapitel damit endgültig abgeschlossen? Nein, betont die Leiterin des Uni-Archivs Dr. Regina Wick. Aktuell setzt sich die Uni u.a. mit belasteten Ehrenwürdenträgern auseinander und sucht nach einem angemessenen Umgang mit einem problematischen Kunstwerk im Schloss.

 

1933 fanden die NS-Machthaber in Hohenheim eine Hochschule vor, die bereitstand, die menschenverachtende Nazi-Ideologie auf allen Ebenen zu unterstützen, ohne offenen Widerspruch, vielfach vorauseilend und über das eingeforderte Maß hinaus.

So lautet ein Fazit von Historikerin Dr. Anja Waller. In ihrer Publikation „Erschreckend einwandfrei: Die NS-Zeit und ihre Folgen an der Universität Hohenheim“ (2018), arbeitet sie u.a. heraus, welche Rolle Uni-Angehörige von Studierenden bis zu Rektoren in der NS-Zeit gespielt haben, und wie wenig Konsequenzen nach Kriegsende gezogen wurden.

Uni stellt sich ihrem dunkelsten Kapitel

Im Vorfeld des Jubiläumsjahrs 2018 ergriff die Universität schließlich die Chance, die überfällige Auseinandersetzung nachzuholen. Unter anderem mit einem Mahnmal und einer Gedenkfeier für Isabella Sikorska und Peter Ralintschenko auf dem Uni-Friedhof. Beide wurden während des zweiten Weltkriegs nach Hohenheim zur Zwangsarbeit verschleppt. Ihre Gebeine lagen bis dahin namenlos, ohne Grabstein oder Kreuz, am Rande des Friedhofs begraben.

Die verwilderten Gräber waren vor den Recherchen der Historikerin nahezu vollständig in Vergessenheit geraten. Dabei stehen die beiden Namen stellvertretend für knapp 250 Frauen, Männer und Kinder, die während Krieges in Hohenheim zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Selbst nach Kriegsende brachten Amtsträger der Hochschule, so legen es historische Quellen nahe, diesen Menschen offenbar nur wenig Mitgefühl entgegen.

Kein Schlussstrich


„Einen Schlussstrich wollten wir nach dem Abschluss des knapp 3-jährigen Projekts aber auf keinen Fall ziehen“, betont die Leiterin des Uni-Archivs, Dr. Regina Wick. „Denn nur, wenn wir die Erinnerung weiterhin lebendig halten, können wir verhindern, dass sich Geschichte wiederholt.“

Dass sich auch Studierende aktiv für das Thema interessieren, freut sie deshalb besonders. So entwickelte Wick auf Anfrage des Arbeitskreis Nachhaltigkeit (AKN) eine Campus-Führung zur NS-Zeit, die im Frühjahr 2022 erstmals im Rahmen der studentischen Nachhaltigkeitswochen stattfand.

Eine Station bei der Führung sind beispielsweise die Rektor-Portraits im Mittelbau des Hohenheimer Schlosses. Bis 2018 hingen diese unterschiedslos nebeneinander: Darunter glühende NS-Ideologen, aber auch Wissenschaftler, die in der NS-Zeit von der Hochschule verdrängt wurden. Heute informiert eine Gedenktafel und ein QR-Code bietet Zugang zu umfangreicheren Hintergründen.

Belastete Ehrenwürdenträger

Seit Neustem kennzeichnen Informationstexte auf der Uni-Homepage in ähnlicher Weise nun auch zwei Ehrenwürdenträger, die in Verbindung mit dem NS-Regime gebracht werden: Dr. Ludwig Malsch (†), der 1964 die Hohenheimer Universitätsplakette erhielt, und Prof. Dr. Dr. h. c. Wilhelm Lampeter (†), dem die Universität noch 1996 die Ehrendoktorwürde verlieh.

Gefallendenkmal

Das Gefallendenkmal im Hohenheimer Schloss geht auf eine Vorlage zurück, die während der NS-Zeit zu Propaganda-Zwecken eingesetzt wurde. Eine Senatskommission soll einen Vorschlag für einen angemessenen Umgang erarbeiten. Bild: Uni Hohenheim

„Nach heutigem Kenntnisstand und nach heutiger Bewertung würde die Ehrung beider Personen nicht mehr erfolgen“, erläutert Dr. Wick. „Rein juristisch betrachtet erlischt die Ehrung mit dem Tod der betroffenen Person. Daher gibt es keine Grundlage für eine nachträgliche Aberkennung. Gleichzeitig haben wir uns dagegen entschieden, die Namen von der Homepage zu entfernen. Schließlich wollen wir die Geschichte nicht glätten, sondern uns aktiv mit ihr auseinandersetzen. Dazu sollen die kurzen Informationstexte beitragen. Die Initiative hierfür geht auf die persönliche Referentin des Rektors zurück, Frau Anna-Lena Müller-Wengerofsky.“

Neuer Umgang mit „Gefallenendenkmal“

Nach einem angemessenen Umgang sucht die Uni Hohenheim aktuell auch in Bezug auf ein Kunstwerk in der Säulenhalle des Schlosses. Das „Denkmal für die Gefallenen des zweiten Weltkriegs“ zeigt einen nackten Jüngling mit Schwert.

„Das Denkmal wurde 1955 durch den Senat der Universität Hohenheim in Auftrag gegeben“, erläutert Wick. „Allerdings schuf Bildhauer Fritz von Graevenitz die Jünglingsskulptur damals nicht neu, sondern griff auf eine Vorlage aus dem Jahr 1940 zurück. Das ursprüngliche Kunstwerk wurde von den Nazis für Propaganda-Zwecke genutzt. Zwar ordnen Historiker:innen von Graevenitz nicht eindeutig als Unterstützer des NS-Regimes ein, dennoch wird seine Rolle als Künstler in diesem Zusammenhang zunehmend kritisch bewertet.“

Einen Vorschlag für einen angemessenen Umgang mit dem Denkmal soll nun eine Kommission des Hohenheimer Senats vorlegen.

Text: Leonhardmair

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