Ein Kaffee mit… Reinhold Carle und Judith Müller-Maatsch
Textilfarbe in Lebensmitteln [22.09.16]
Das Forschungsteam veröffentlich seine Ergebnisse in der kommenden Dezember-Ausgabe von „Food Control“. Online sind sie bereits veröffentlicht unter dx.doi.org/10.1016/j.foodcont.2016.06.012
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Herr Carle, Frau Müller-Maatsch, wissenschaftliche Untersuchungen der Uni Hohenheim sind nur selten Top-Meldungen in den SWR-Nachrichten. Am vergangen Dienstag war einer dieser Tage.
Ihr Befund hat allerdings auch tatsächlich Sprengkraft. Welche Reaktionen hat die Veröffentlichung denn bislang ausgelöst?
News-Beitrag (Mediathek) |
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Bericht in SWR-Landesschau (20.9.16) |
Carle: Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, hat über ihr Schnellwarnsystem eine Meldung herausgegeben. Wir bekommen zahlreiche Anfragen von Lebensmittelherstellern. Aber auch Fachkollegen wenden sich an uns, die mit ähnlichen Fällen konfrontiert sind.
Offenbar ist das gefälschte Präparat weltweit und unter unterschiedlichen Bezeichnungen im Umlauf.
Die deutschen Verbraucherschutzbehörden tun sich mit der Aufarbeitung im Moment allerdings immer noch schwer. Denn bislang ist uns gewissermaßen nur der erste Schritt gelungen: Wir können den Textilfarbstoff in dem reinen Präparat – also vor der Anwendung – nachweisen, nicht aber in den damit behandelten Lebensmitteln.
Warum?
Müller-Maatsch: Eine besondere Eigenschaft des Azofarbstoffs Reactive Red 195 ist, dass er mit organischen Materialen reagiert und eine nahezu untrennbare Bindung eingeht. Im Textilbereich ist diese Eigenschaft optimal, um zu verhindern, dass die Farbe beim Waschen ausbleicht.
Auch mit den Proteinen in Fleisch, Wurst und Milch verbindet sich Reactive Red – und ist deshalb mit den bestehenden Methoden nicht nachweisbar.
Carle: Für den Menschen könnte der Farbstoff jedoch trotzdem potentiell schädlich sein. Denn bei der Verdauung der Proteine werden die Moleküle wieder enzymatisch freigesetzt.
Der biochemische Prozess, der während der Verdauung abläuft, könnte somit auch der Schlüssel sein, um den Azofarbstoff künftig in komplexen Lebensmitteln nachzuweisen. Wir gehen fest davon aus, dass die Fach-Community dafür in Kürze ein geeignetes Verfahren entwickelt.
Ihrer Ansicht nach handelt es sich um eine perfide Täuschung?
Carle: Ein Versehen halten wir für ausgeschlossen. Unserer Einschätzung nach sind Kriminelle am Werk, die sehr gut wissen, was sie tun.
Das neue Präparat kam wahrscheinlich 2015 als Rote Bete- und Hibiskus-Konzentrat auf den Markt. Solche färbenden Lebensmittel gelten als Zutaten – und müssen somit nicht als Zusatzstoffe mit E-Nummern auf der Verpackung deklariert werden. Allerdings haben sie normalerweise bei Weitem nicht so gute Färbeeigenschaften wie die synthetischen Azofarbstoffe.
Die vermeintlich natürlichen Präparate, die wir untersucht haben, färbten jedoch ca. 10-mal intensiver als reiner Rote Bete- bzw. Hibiskus-Extrakt. Außerdem beeinträchtigten weder Hitze und Licht, noch Lauge oder Säure die Färbung.
Da die Verbraucherakzeptanz von Zusatzstoffen zunehmend leidet, kam das neue, angeblich natürliche Färbeprodukt vielen Lebensmittelherstellern höchstwahrscheinlich wie gerufen.
Einige sind allerdings offenbar auch stutzig geworden. Wie genau sind Sie der Sache auf die Spur gekommen?
Carle: Unser Lehrstuhl hat international einen Namen, insbesondere wenn es um das Thema Farbe geht.
Drei Lebensmittelhersteller aus Deutschland, Frankreich und der Türkei haben uns daher unabhängig voneinander kontaktiert, weil ihnen das neue Wundermittel ungeheuer vorkam. Mit ihren eigenen Analysenmethoden konnten sie jedoch keine Ungereimtheiten feststellen.
Nachvollziehbarerweise möchten die Informanten namentlich nicht genannt werden. Wir respektieren dies, auch wenn es bereits Anfragen von Behörden gab. Ansonsten würden ja gerade diejenigen bestraft, die den Skandal aufdecken möchten.
Müller-Maatsch: In meiner Dissertation befasse ich mich mit pflanzlichen Farbstoffen, deshalb war die Aufklärung der Verfälschung für mich natürlich besonders spannend.
Wir haben uns in mehreren Testreihen vorgearbeitet. Relativ schnell war uns klar, dass ein Etikettenschwindel vorliegt. Herauszufinden, welcher Farbstoff tatsächlich enthalten ist, war jedoch mühevolle Detektivarbeit.
Mit Hilfe von Flüssigkeitschromatographie mit gekoppelter Massenspektrometrie haben wir Schritt für Schritt verschiedene Stoffe ausgeschlossen und sind schließlich bei der Gruppe der synthetischen Azofarbstoffe gelandet. Letzte Gewissheit brachte dann die vergleichende Analyse mit der Referenzsubstanz „Reactive Red 195“.
Wie gefährlich ist der Texilfarbstoff denn, wenn man ihn mit der Nahrung aufnimmt? Und was erwarten Sie jetzt von den Behörden?
Müller-Maatsch: Was genau Reactive Red 195 im Körper bewirkt, ist nicht ausreichend untersucht. Einige Azofarbstoffe stehen jedoch im Verdacht, bei Kindern zu Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung zu führen. Andere stehen im Verdacht, krebserregend zu sein.
Aufgrund der sogenannten Southampton-Studie von 2007 müssen Lebensmittel, die solche Farbstoffe enthalten, in der EU seit 2010 den Warnhinweis tragen: „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen.“
Carle: Reactive Red 195 war allerdings zu keinem Zeitpunkt für Lebensmittel zugelassen. Deshalb ist es ein dringlicher Auftrag der zuständigen Behörden, Verbraucher vorbeugend zu schützen.
Solange wir allerdings noch keine Methode haben, den Farbstoff in verzehrsfähigen Lebensmitteln nachzuweisen, sind die Aussichten, den Textilfarbstoff in verdächtigen Lebensmitteln nachzuweisen, gering. Es ist deshalb zwingend geboten, dass die Lebensmittelüberwachung die Lebensmittelhersteller unverzüglich vor dem gefälschten Präparat warnt. Neben großen Unternehmen gehören zu den potentiellen Anwendern z.B. auch kleinere Fleischereien.
Wir werden berichten. Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Leonhardmair