Ein Geburtstags-Besuch bei... Prof. Dr. Theodor Bergmann
Hohenheimer, 100-Jähriger, kritischer Kommunist [20.04.16]
Theodor Bergmann liebt den weiten Horizont. Von seiner Wohnung auf halber Höhe der Asemwald-Hochhäuser, kann er die Filder überblicken. Die Universität liegt dann zu seinen Füßen.
In letzter Zeit ist viel geschrieben worden über den 100jährigen Jubilar. Vielen Stuttgarter Familien ist er ein Begriff, weil er sich heute noch als Zeitzeuge in Schulklassen einladen lässt. Dort berichtet Bergmann stets auch von seinem rigiden, streng durchgetakteten Arbeitstag.
Wir vereinbaren, uns im Interview auf seine Zeit als Professor in Hohenheim zu beschränken. „Wenn man zu ihm kommt, möchte man sich immer entschuldigen, dass man ihm die Zeit stiehlt“: Das hat uns Karlheinz Köller, einer seiner früheren Schüler und später selbst Professor in Hohenheim, mit auf den Weg gegeben. Darauf angesprochen winkt Bergmann ab: „Neinnein. Über meine Zeit kann ich frei verfügen.“ Also erlauben wir uns ein bisschen Smalltalk zum Einstieg.
Herr Bergmann, Sie haben schon früh die halbe Welt kennengelernt. Wo gefällt es Ihnen am besten?
Am schönsten fand ich es in Neuseeland, wo ich unter anderem 1970/71 gereist bin und Vorträge gehalten habe. Ich fand dort einen sozial ausgewogenen, geordneten Staat mit mildem Klima und sehr fortschrittlicher Landwirtschaft. Meine verstorbene Frau und ich haben sogar verabredet, uns nach der Wiedergeburt dort zu treffen. Da wir aber beide nicht an Wiedergeburt glauben, stehen unsere Chancen wohl eher schlecht.
Und wie erinnern Sie sich an Hohenheim?
Als ich 1953 zur Promotion nach Hohenheim kam, lag die Universität weitgehend in Trümmern. Als Wissenschaftler fand ich in Hohenheim sowohl räumlich als auch inhaltlich den schönsten Arbeitsplatz meines Lebens. Ich hatte damals ein Büro ganz außen im Ostflügel – mit Blick auf den botanischen Garten und allen Freiheiten, zu lehren und zu forschen.
Filmvorführung und Gespräch |
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Anlässlich seines 100. Geburtstags laden der AStA und die Uni Hohenheim zur festlichen Filmvorführung und zum Gespräch mit Theodor Bergmann. Die Dokumentation „dann fangen wir von vorne an“ (2006) begleitet Theodor Bergmann zu Stationen seines bewegten Lebens, u.a.: Berlin, Israel und Hohenheim. Termin: Donnerstag, 21. April um 18 Uhr im Euro-Forum. |
Als Sie dieses Büro bezogen, brachten Sie eine mehr als facettenreiche Biographie mit. Sie waren für damalige Verhältnisse unglaublich weit gereist. Sie haben die großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts überlebt. Und Sie haben sich mit den unterschiedlichsten Systemen auseinandergesetzt. Hat das Ihre wissenschaftliche Arbeit geprägt?
Ich hatte das Privileg, dass ich meinen Kopf benutzen und viele interessante Menschen kennenlernen durfte. Damals gab es Fragen, die keiner außer mir angefasst hat, zum Beispiel das Thema Agrarpolitik sozialistischer Länder – ich habe darüber Vorlesungen gehalten.
Was mir dabei geholfen hat: Ich habe in mehreren Ländern bei Bauern am Tisch gesessen, habe Methoden und Entwicklungen gesehen, auch Unterschiede in den Entwicklungen: 1935 stand ich in Palästina auf dem Mähdrescher. Zu der Zeit wurde in Osteuropa noch von Hand gedroschen. Und in Schweden gab es eigene Traktoren. Schweden hat nicht am Krieg teilgenommen und deshalb in Gegensatz zu Deutschland Traktoren bauen können.
Und ich hatte einen anderen Blick auf Deutschland, auf das dritte Reich, und habe vielleicht auch Zusammenhänge in der Agrargeschichte besser verstanden. Das hat sich sicher auf meine Vorlesungen ausgewirkt und mir geholfen, Entwicklungen zu verstehen und lebendig zu zeigen.
Die meisten Ihrer professoralen Kollegen hatten wahrscheinlich einen viel akademischeren Lebenslauf. Erlauben Sie die ganz direkte Frage: war es einfach, sich in diese Gemeinschaft zu integrieren?
Ich hatte in Hohenheim gute Freunde ebenso wie Leute, die mich nicht mochten – das ist wohl unvermeidlich. Mit einigen Leuten – z.B. dem späteren Rektor, Helmut Röhm, - war ich mir einig, dass die Uni moderner werden muss. Dabei war er ein ausgesprochen konservativer Mensch. Aber wir schätzten uns.
Und wie war Ihr Verhältnis zu den Studierenden?
Das war ein sehr offenes Verhältnis: Ich habe immer erklärt wer und was ich bin. Das Wort Professor kommt schließlich von „profiteri“: sich bekennen. Die Studenten sollten wissen, welche Position ich habe, um meine Aussagen in den Vorlesungen einzuordnen. Es gab in meinen Vorlesungen auch viel Gelegenheit zu Diskussionen und zum Fragen stellen. Dadurch habe ich interessante Gespräche geführt.
Die Studenten sollten keine zu große Ehrfurcht vor uns Professoren haben: Wir sind nichts Besonderes, wir haben nur das besondere Glück gehabt, frei zu forschen, zu denken und zu lehren. Das ist eine Freiheit, die man nutzen muss.
Wie haben Sie die Studentenbewegung der 1960er und 70er Jahre erlebt?
Den ganz linken Studenten war ich nicht radikal genug. Da gab es Ideen, die ich nicht unterstützen konnte. Zum Beispiel, dass es keine Noten mehr geben sollte. Dazu habe ich ganz klar gesagt: Das geht nicht.
Nicht alles von dem, was die Studenten vorhatten, habe ich unterstützt. Manche Studenten wollten zum Beispiel Mitglieder der Fachbereiche werden. Da gab es ganz schön Ärger bei einigen Sitzungen, deren Leitung ich hatte. Ich habe den Studenten dann gesagt: Ihr könnt Wünsche äußern über die Lehre, aber ihr könnt nicht bestimmen, was wir lehren.
Aber: Die Studentenbewegung hat frische Luft in die Uni gebracht, verschiedene Richtungen. Danach gab es zum Beispiel auch Marxisten als Professoren. Leider war der Anstoß durch die Studentenbewegung zu klein, und wir sind danach wieder in konservatives Fahrwasser geraten.
Inwiefern?
Zum Beispiel, indem wir nach 1989 alle marxistischen Forscher aus der DDR aus den Universitäten rausgeworfen und deren Akademien zugemacht haben. Heute sind einige Bereiche sehr einseitig, gerade die Sozialwissenschaften – da wird nur ein Modell gelehrt. Die Lehre muss offener sein.
Auch in den Agrarwissenschaften gibt es inzwischen neue Probleme und Fragen, zum Beispiel was die Lebensmittelqualität angeht: Können wir frei forschen, wenn wir auf das Geld privater Firmen angewiesen sind? Oder auch der Bereich Gentechnik. Diese Dinge müssen wir offen und kritisch behandeln, deshalb versuche ich, mich darüber auf dem Laufenden zu halten.
Haben Sie heute noch Kontakte an der Universität?
Ja, ich habe noch zu einigen ehemaligen Doktoranden Kontakt. Auch Studenten kommen manchmal zu mir und bitten um Hilfe. Eine chinesische Studentin kam einmal zu mir, weil sie Schwierigkeiten mit dem Studienstart hatte – sie war die erste chinesische Studentin in Hohenheim. Heute ist sie Professorin in China und wir haben immer noch Kontakt. Sie hat mir sogar Zugang zu einem wichtigen chinesischen Agrarpolitiker verschafft.
Neben der privaten Kontaktpflege habe ich bis vor einiger Zeit auch noch Vorträge an der Uni Hohenheim angehört. Das wird aber inzwischen immer schwieriger für mich, da ich Probleme habe die Referenten akustisch zu verstehen. Vor einigen Jahren habe ich zum Beispiel einen Vortrag von Herrn Wulfmeyer über das Klima besucht. Bei einem späteren Vortrag hat er aber mit einer Power Point-Präsentation gearbeitet und dem Publikum dabei den Rücken zugewandt, da habe ich nichts verstanden. Interesse an aktuellen Problemen habe ich aber immer noch.
Was würden Sie den Studierenden von heute mit auf den Weg geben?
Ich würde ihnen raten, die Lehre kritisch zu betrachten und sich neben ihren Vorlesungen und Prüfungen auch in benachbarte Gebiete einzuarbeiten. Die Ausbildung ist notwendigerweise eng, und manche Professoren denken auch, ihre Sache sei die wichtigste. Aber Studenten sollten neben ihrem Fach noch anderes lernen. Nicht jeder Student wird ein Forscher. Wir brauchen aber junge Menschen die kritisch denken und anderen Wissenschaften gegenüber offen sind.
Professor Köller sagte uns im Gespräch, er habe bei Ihnen gelernt „Haltung zu bekennen und dazu zu stehen“. Freut Sie das?
Ja, das freut mich. Ich glaube, ich habe meine Fahne rausgehängt. Das muss ein Mensch machen.
Interview: Dorothee Barsch, Florian Klebs