Landtagswahlen Bayern & Hessen 2023:
CSU in Bayern legt verständlichstes Wahlprogramm vor  [19.09.23]

Hohenheimer Verständlichkeitsindex: Kommunikationswissenschaftler:innen der Universität Hohenheim analysieren Wahlprogramme auf formale Verständlichkeit.

Komplizierte Fremdwörter, „Denglish“ und Monster-Sätze: Vor den Landtagswahlen 2023 in Bayern und Hessen haben Kommunikationswissenschaftler:innen der Universität Hohenheim in Stuttgart die Wahlprogramme der Parteien auf ihre formale Verständlichkeit hin untersucht. Ihr Ergebnis: Die meisten Programme sind sprachlich nur schwer verständlich. Das sei eine verschenkte Chance, die Wählerschaft zu erreichen, so die Forschenden. Am sprachlich verständlichsten ist das Programm der CSU in Bayern, in Hessen teilen sich SPD und Linke den ersten Platz. Schlusslichter sind in Bayern die SPD, in Hessen die FDP. Die Studie im Detail unter www.uni-hohenheim.de/uploads/media/Wahlprogramm-Check_2023_Bayern_Hessen.pdf


„Parteien sollten ihre Positionen klar und verständlich darstellen, damit die Wählerinnen und Wähler eine begründete Wahlentscheidung treffen können. Dazu dienen die Wahlprogramme“, betont der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim. Er hat zusammen mit Dr. Claudia Thoms die Wahlprogramme zu den Landtagswahlen 2023 in Bayern und Hessen untersucht.

Wahlprogramme mit ähnlicher Verständlichkeit wie bei den Landtagswahlen 2018

Mit Hilfe einer Analyse-Software fahnden die Forschenden unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen und zusammengesetzten Wörtern. Anhand solcher Merkmale bilden sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ (HIX). Er reicht von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich).
Im Durchschnitt ist die Verständlichkeit der Programme zur Landtagswahl in Bayern mit 8,6 Punkten auf einem ähnlichen Niveau wie bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2018 (9,0 Punkte). In Hessen lag der Durchschnittswert 2018 bei 7,5 Punkten. 2023 liegt er bei 7,2 Punkten. Damit belegt Hessen bei der formalen Verständlichkeit der Programme Platz 13 der 16 Bundesländer. Bayern liegt auf Platz 1.

CSU in Bayern am verständlichsten, SPD und Linke in Hessen

Das formal verständlichste Wahlprogramm in Bayern liefert die CSU mit 12,1 Punkten auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Den letzten Platz belegt das Programm der SPD mit 6,5 Punkten. In Hessen ist die Bandbreite der Verständlichkeit deutlich kleiner. Die Programme der SPD und der Linken belegen mit jeweils 7,7 Punkten den ersten Platz. Die FDP landet mit 6,6 Punkten auf dem letzten Verständlichkeits-Platz.

„Wie schon bei vorherigen Wahlen hat die CSU auch zur Landtagswahl 2023 das sprachlich mit Abstand verständlichste Wahlprogramm vorgelegt“, sagt Prof. Dr. Frank Brettschneider. „Ein Wert von 12,1 Punkten auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex kann sich sehen lassen. Bei den anderen Parteien ist hingegen noch viel Luft nach oben.“ Die formale Verständlichkeit aller anderen Wahlprogramme liegt zum Teil deutlich unter einem Wert von 10,0. Für Prof. Dr. Brettschneider sind diese Werte enttäuschend: „Alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf die Fahne geschrieben, doch mit derartigen Wahlprogrammen verpassen sie eine kommunikative Chance. Sie schließen einen erheblichen Teil der Wählerinnen und Wähler aus.“

Verständlichkeitshürden schließen Wählerinnen und Wähler aus

„Minimalrepräsentationsprinzip“ (AfD Bayern), „CleanTech“ (CSU), „Cyberhype“ (Linke Bayern), „activity-based working“ (FDP Bayern), „DRG-Fallpauschalfinanzierung“ (FW Bayern), „Sustainable-Finance-Instrumente“ (Grüne Bayern), „Komorbiditäten“ (AfD Hessen), „AI-Quality-Hub“ (CDU Hessen), „self-paced-Formate“ (FDP Hessen), „female fintech founders“ (Grüne Hessen), „Präexpositionsprohylaxe“ (sic!) (Linke Hessen), „third mission“ (SPD Hessen): Die Programme der Parteien enthalten zahlreiche Fremd- und Fachwörter. Vor allem für Leserinnen und Leser ohne politisches Fachwissen stellen diese eine große Verständlichkeitshürde dar.

Einen ähnlichen Effekt hätten Wortzusammensetzungen oder Nominalisierungen, so Dr. Claudia Thoms, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Kommunikationstheorie. Einfache Begriffe würden so zu Wort-Ungetümen, wie z. B. „Telekommunikationsmindestversorgungsverordnung“ (SPD Bayern), „Nachhaltigkeitsrechenschaftsberichte“ (AfD Bayern), „Car2Infrastructure-Kommunikation“ (FDP Hessen) oder „Hochleistungsrechnerinfrastruktur“ (CDU Hessen).

„Auch zu lange Sätze erschweren das Verständnis. Das gilt besonders für Menschen, die wenig lesen. Sätze sollten möglichst nur jeweils eine Information vermitteln“, erklärt Dr. Thoms. „Der längste Satz findet sich im Programm der Linken in Bayern mit 62 Wörtern. Aber auch bei allen anderen Parteien tauchen überlange Sätze auf. Sätze mit 30 und 40 Wörtern sind keine Seltenheit.“

Prof. Dr. Brettschneider fügt hinzu: „Die von uns gemessene formale Verständlichkeit ist natürlich nicht das einzige Kriterium, von dem die Güte eines Wahlprogramms abhängt. Deutlich wichtiger ist der Inhalt. Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert ist. Und unverständliche Formulierungen bedeuten nicht, dass der Inhalt falsch ist. Formale Unverständlichkeit stellt aber eine Hürde für das Verständnis der Inhalte dar.“


HINTERGRUND: Hohenheimer Verständlichkeits-Analysen

Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie, an der Universität Hohenheim untersucht seit 17 Jahren die formale Verständlichkeit zahlreicher Texte: Wahlprogramme, Medienberichterstattung, Kunden-Kommunikation von Unternehmen, Verwaltungs- und Regierungskommunikation, Vorstandsreden von DAX-Unternehmen.

Möglich werden diese Analysen durch die Verständlichkeits-Software „TextLab“. Die Software wurde von der H&H CommunicationLab GmbH in Ulm und von der Universität Hohenheim entwickelt. Sie berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z. B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze). Daraus ergibt sich der „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“. Er bildet die Verständlichkeit von Texten auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich) ab. Zum Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Hörfunk-Nachrichten kommen im Schnitt auf 16,4 Punkte, Politik-Beiträge überregionaler Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt oder der Süddeutschen Zeitung auf Werte zwischen 11 und 14.

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Institut für Kommunikationswissenschaft
T 0711/459-24030, E frank.brettschneider@uni-hohenheim.de

Dr. Claudia Thoms, Universität Hohenheim, Institut für Kommunikationswissenschaft
T 0711/459-24030, E claudia.thoms@uni-hohenheim.de


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