KI im Studium:
Uni Hohenheim präsentiert eigenen Chatbot als Prüfungs-Trainer  [30.03.23]

ChatGPT-ähnliche Technik & Handhabung machen den digitalen Tutor zum passgenauen Trainer für Prüfungen / Pilotprojekte sammeln erste Erfahrungen mit ChatGPT im Studium
 
Video zum digitalen Prüfungstrainer unter www.youtube.com/watch?v=B7Z6021yMSo

ChatGPT und wie man es – sinnvoll – verwendet: bereits im laufenden Semester bieten mehrere Professor:innen der Universität Hohenheim in Stuttgart Pilotprojekte an, die Studierende im Umgang mit dem KI-Tool im Studium schulen. Und schon bald wird ein eigener KI-Chatbot der Universität Hohenheim auch die Möglichkeit bieten, mit Künstlicher Intelligenz als Sparringspartnerin für Prüfungen zu trainieren. Parallel dazu arbeitet die Universität an einer offiziellen Rahmenregelung für Prüfungen im Zeitalter von ChatGPT. Auf ihrer heutigen Pressekonferenz gab sie Einblicke in die laufenden Projekte.


Ein digitaler Lern-Buddy, der nie die Nerven verliert. Ein motivierender Tutor, der rund um die Uhr zur Verfügung steht. Ein wortgewandter Sparringspartner, der die Prüfungsinhalte sattelfest beherrscht. So lässt sich der „Pedagogical Conversational Tutor“ – kurz: PET – beschreiben, der Studierenden hilft, wenn sie nicht mehr weiterwissen.

Von der Technik und von der Handhabung her ähnelt der digitale Tutor dem Textgenerator ChatGPT. Mit beiden können Nutzer:innen über Fragen und Antworten kommunizieren. Beide nutzen Künstliche Intelligenz, um ihre Antworttexte zu generieren.

Der Unterschied: „Bei unserem PET können Studierende sicher sein, dass die Antwort stimmt. Und sie bekommen gleich noch die Quelle der Aussage angegeben“, erklärt Andreas Reich, der den Tutor entwickelt hat.


Grundlage des digitalen Tutors: Vortragsfolien, Vorlesungsskripte und bald auch Videos

Von Haus aus ist Reich Medieninformatiker. Seit fast 2 Jahren nutzt er diese Kompetenz für das Projekt „Digitalisierung entlang Lehren, Lernen und Forschen integrieren“ (DeLLFi). Dabei handelt es sich um eines von zahlreichen Maßnahmenpaketen, mit denen die Universität Hohenheim die digitale Transformation auf dem Campus vorantreibt.

Daneben promoviert der 26–jährige im Institut für Kommunikationswissenschaft bei Prof. Dr. Jens Vogelgesang. Betreut werden seine Projekt- und auch die Doktor-Arbeit auch von Prof. Dr. Matthias Wölfel von der Hochschule Karlsruhe, der mit der Universität Hohenheim assoziiert ist. Auf dessen Idee und Vorarbeiten baut auch Reichs aktueller Tutor auf.

Damit die Künstliche Intelligenz des Tutors wirklich weiß, wovon sie spricht, hat Reich sie bereits mit Vortragsfolien und Vorlesungsskripten der Universität Hohenheim trainiert. Als nächstes soll der Tutor auch noch Video-Aufzeichnungen und ausgewählte Fachliteratur auswerten.

Dank Spracherkennung können Studierende bereits mündlich mit dem Chatbot kommunizieren: Fragen stellen, sich abfragen lassen und den Lernstand bewerten. So lassen sich auch Lücken identifizieren und dank Quellenhinweis gezielt schließen.

„Das Ganze ist ein System zur Unterstützung der Lehre“, erklärt Reich. „Das heißt, wir ersetzen nicht die Dozentinnen und Dozenten. Diese müssen weiterhin alle relevanten Informationen zusammenstellen. Aber wir ergänzen ihre Arbeit.“

Die Beta-Version seines Tutors will Reich bereits im Sommersemester testen. Parallel dazu experimentieren Professor:innen der Universität Hohenheim, wie sich ChatGPT als bereits weit verbreitete Standardsoftware im Studium einsetzen lässt.


Pilotprojekte zu ChatGPT starten im Sommersemester

Einer davon ist Prof. Dr. Henner Gimpel, Wirtschaftsinformatiker und Leiter des Fachgebietes Digitales Management. Ab kommender Woche will er ChatGPT in vier seiner Lehrveranstaltungen verwenden.

„In allen Veranstaltungen geht es darum, die so genannte generative Künstliche Intelligenz (KI) kennenzulernen. ChatGPT ist ein prominentes Beispiel einer generativen KI, das erstaunlich gut darin ist, Texte zu verstehen und neue Texte zu generieren“, so Prof. Dr. Gimpel. Studierende werden beispielsweise darin angeleitet, ChatGPT – auf freiwilliger Basis – dafür einzusetzen, ein Thema einzugrenzen, einen Text zu strukturieren, zu entwerfen, zu redigieren und kurz zusammenzufassen.

„Diese individuelle, selbstgesteuerte, praktische Erfahrung im Umgang mit ChatGPT ergänzen wir in der gemeinsamen Diskussion im Hörsaal. Hier fokussieren wir auf die technischen Grundlagen solcher Systeme, die Einsatzmöglichkeiten in der eigenen Arbeit und in Organisationen sowie die Risiken und Nebenwirkungen.“

Ein solches Risiko sei, dass ChatGPT – im Gegensatz zum Hohenheimer Tutor – Quellen erfinde, die es gar nicht gibt und so Falschinformationen verbreite. Eine andere Gefahr sei, dass Studierende mit ChatGPT Plagiate in Texte einbauten oder Urheberrechte verletzten.

In anderen Lehrveranstaltungen werden die Studierenden ChatGPT nutzen, um Software-Code zu schreiben und zu kommentieren. In Seminar- und Abschlussarbeiten entwickeln Studierende Anwendungen, die auf ChatGPT aufbauen und es in den betrieblichen oder universitären Einsatz bringen. In einem Seminar werden die ethischen und sozialen Rahmenbedingungen und Auswirkungen generativer KI untersucht.


Universität arbeitet an Rahmenregelungen für Abschluss- und Hausarbeiten

Noch sind es Pilotprojekte, die Professor:innen wie Prof. Dr. Gimpel anbieten. Denn die neuen Systeme wie ChatGPT bescheren der Universität neben neuen Möglichkeiten auch enorme Herausforderungen. Das gilt besonders für die Frage, wie Haus- und Abschlussarbeiten künftig geprüft und bewertet werden.

Eine, die bei dieser Aufgabe die Federführung übernimmt, ist Prof. Dr. Korinna Huber, Prorektorin für Studium und Lehre der Universität Hohenheim. Als Vorsitzende der Senatskommission Lehre koordiniert sie die Arbeit an einer universitätsweiten Regelung, die Klarheit schafft, wie unbeaufsichtigte schriftliche Prüfungen künftig zu handhaben sind.

„Aktuell gibt es in Hohenheim eine sehr intensive Diskussion und auch mehrere Positionspapiere“, berichtet das Mitglied der Universitätsleitung. „Vor uns liegt nun die Notwendigkeit, einen offiziellen Standpunkt für die gesamte Universität zu formulieren. Lehrende und Studierende brauchen eine klare Antwort auf die Frage: Darf ich künftig noch eine Hausarbeit machen? Wenn ja, welche Regeln gelten und wie muss die Arbeit dann aufgebaut sein?“


Neue Technik erfordert Schulungen – und besseres Betreuungsverhältnis

Von einem Generalverbot hält Prof. Dr. Huber dabei wenig. „ChatGPT ist eigentlich nur ein weiterer aktueller Aufhänger für die Frage, wie wir mit neuen digitalen Hilfswerkzeugen umgehen. Datenschutzrechtliche Fragen müssen ebenso geklärt werden wie auch die Frage der Chancengleichheit für die Studierenden“, erklärt die Prorektorin.

Ein weiteres Manko: „Bislang fehlt auch eine bildungswissenschaftliche Begleitforschung, die uns ermöglicht, die Auswirkungen auf den Lernerfolg bei Studierenden unter Nutzung von digitalen Tools und KI abzuschätzen. Sie alle stellen uns auch vor die Fragen, wie wir generell unsere Prüfungsstrukturen aufsetzen, z.B. die Zahl der Prüfungen reduzieren, und wie wir die Kompetenzorientierung im Prüfungswesen weiterentwickeln.“

Dabei diskutiere die Universität vor allem zwei Tendenzen: mehr mündliche Prüfungen abzuhalten und noch mehr Aufwand in die wissenschaftliche Konzeption von schriftlichen Prüfungsarbeiten zu stecken. Daneben brauche es für die Dozent:innen, vor allem aber für Studierende viel mehr Schulungen zum Thema KI und dem kritischen Umgang damit.

„Um das zu gewährleisten, benötigen wir eigentlich eine intensivere Betreuung, also einen ganz anderen Betreuungsschlüssel mit mehr Dozentinnen und Dozenten“, so ein Fazit von Prof. Dr. Huber.


KI wirft auch ethische und bildungspolitische Fragen auf

Dabei sieht Prof. Dr. Huber den Regelungsbedarf bei Prüfungen als die drängendste, aber nicht die einzige offene Frage.

„Das Thema ChatGPT hat vor allem auch eine ethische Komponente. Die Künstliche Intelligenz weiß nicht, was wahr und was falsch ist. Unsere Aufgabe als Universität ist eigentlich, den Studierenden genau das beizubringen – und die Fähigkeit, das Wahre auch zu beweisen.“


Auch bildungspolitisch stellen sich der Prorektorin für Lehre noch viele offene Fragen: „Noch wissen wir gar nicht, was dieses neue Tool mit unseren Studierenden macht. Schon jetzt lesen viele keine Bücher mehr – bald schreiben sie immer weniger. An sich wäre mir lieber, wir würden erst einmal mehr über die Auswirkungen von Tools wie ChatGPT wissen, bevor wir über den Einsatz reden.“


HINTERGRUND: So funktioniert der Pedagogical Conversational Tutor (PET)

Die Funktionsweise des PET und der künstlichen Intelligenz sind an die Funktionsweise des menschlichen Gehirns angelehnt: Dort gibt es verschiedene Regionen, die verschiedene Aufgaben übernehmen. Ganz ähnlich verwendet der PET mehrere neuronale Netzwerke, die Hand in Hand miteinander arbeiten.

Zurzeit arbeitet das Projektteam an 8 verschiedenen Netzwerken. Eines dieser Netzwerke analysiert gesprochene Sprache und wandelt sie in Text um. Ein anderes neuronales Netz kann diesen Text nach bestimmten Gesichtspunkten verarbeiten – z.B. um herauszufinden, was die Nutzer:innen möchten. Wenn das System merkt, dass jemand eine Frage zu einem Thema stellen möchte, kann es wiederum eine andere KI nutzen, die in kürzester Zeit hunderte von Dokumente durchsucht und den Nutzern eine Antwort gibt.

Wenn anschließend eine andere Frage gestellt wird, wie z.B. „Kannst du mich abfragen?“, dann wird eine weitere KI angesprochen. Sie kann wiederum evaluieren, ob die Antwort gut oder schlecht ist. Entsprechend antwortet der ChatBot entsprechen, zum Beispiel: „Hey, das war richtig!“


HINTERGRUND: DeLLFi u.a. Digitalisierungsprojekte

Die Universität Hohenheim treibt derzeit eine Reihe von Projekten voran, um digitale und analoge Lehre ideal zu verzahnen.

  • Ziel von DeLLFi ist, eine kompetenzorientierte, digital unterstützte Lehre als festen Bestandteil der Lehre in Hohenheim zu etablieren. Die acht Maßnahmenpakete des Projektes „Digitalisierung entlang Lehren, Lernen und Forschen integrieren“ werden gefördert von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.

  • Bei PePP handelt es sich um ein Verbundprojekt der neun Landesuniversitäten, das Vorarbeiten für eine mögliche Einführung von Online-Prüfungen leistet. Die “Partnerschaft für innovative E-Prüfungen“ wird ebenfalls gefördert von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.

  • Das AIDAHO-Programm bietet Studierenden aller Fachrichtungen eine umfangreiche Zusatzausbildung in den Bereichen KI und Data Science. Gefördert wird das Projekt „AI & Data Science Certificate Hohenheim“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Land Baden-Württemberg.

  •  Ziel von ABBA ist es, Wirtschaftswissenschaftler:innen die notwendigen Kompetenzen für die Bewertung und Integration von Technologie in betriebliche Prozesse und Entscheidungen zu vermitteln. Das Projekt „AI for Business | Business for AI“ wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und mehrere beteiligte Länder gefördert.


Weitere Informationen

Video-Porträt des Pedagogical Conversational Tutor: www.youtube.com/watch?v=B7Z6021yMSo
Digitalisierungsprojekte & innovative Lehre: https://www.uni-hohenheim.de/innovative-lehre

Text: Klebs

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Korinna Huber, Prorektorin für Studium und Lehre,
T +49711 459 23998, E korinna.huber@uni-hohenheim.de

Prof. Dr. Henner Gimpel, Universität Hohenheim, Fachgebiet Digitales Management,
T +49 711 459 24051, E henner.gimpel@uni-hohenheim.de

Andreas Reich, Projektmitarbeiter DeLLFi und Mitarbeiter am Fachgebiet Kommunikationswissenschaft, insbesondere Medien- und Nutzungsforschung,
T +49 711 459 24302, E andreas.reich@uni-hohenheim.de


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