Deutsche Geschichte:
Historiker kürt Goldenen Pflug als eines der 100 wichtigsten Objekte  [10.12.15]

Von Römerkunst bis Merkel-Handy: Neuerscheinung des Piper-Verlages erzählt deutsche Geschichte in 100 Objekten. Eines davon: der Goldene Pflug, historische Innovation der Universität Hohenheim.

Die industrielle Revolution, die Ausweitung demokratischer Rechte auf die Landbevölkerung, vielleicht sogar die Anfänge von Deutschlands internationalem Ruf als Hightech-Standort – all das ist eng verwoben und wäre teils gar nicht möglich gewesen ohne die landwirtschaftliche Revolution, die der Industrialisierung vorausging. Das frisch erschienene Buch „Deutsche Geschichte in 100 Objekten“ widmet dem Thema ein ganzes Kapitel. Als symbolträchtigstes Objekt wählte es den Goldenen Pflug, ein Produkt der Landwirtschaftlichen Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt, aus der später die Universität Hohenheim in Stuttgart hervorging. Heute ist der Goldene Pflug im Deutschen Landwirtschaftsmuseum der Universität zu bewundern.

 

Was für ein Unterschied zu den Pflügen, die sich die Bauern von Tischlern und Dorfschmieden zusammenschustern ließen. Vom Griff bis zur Pflugschar ist er durchgenormt, ein Verkaufsschlager der „Ackergeräthe-Fabrik Hohenheim“ der Hohenheimer Landwirtschaftlichen Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt. Es ist das erste in Manufaktur produzierte landwirtschaftliche Gerät in Deutschland, wissenschaftlich erprobt, getestet, auf vielen Böden einsetzbar und unerreicht effektiv.

Entsprechend schwärmerisch fällt das Lob von Zeitgenossen aus. Demnach „zeichnet sich der Hohenheimer Pflug durch tadellose Arbeit aus“, er „gestattet eine so tiefe Beackerung, wie wenig andere Pflüge“, habe „einen festen, steten Gang“ und „beansprucht bei all dem nur eine geringe Zugkraft“.

„An diesem Produkt war jede Wölbung durchdacht“, lobt Dr. Jürgen Weisser, Leiter des Deutschen Landwirtschaftsmuseums in Stuttgart. „Jede Scholle, die die Pflugschar aufriss, wurde im Winkel von 135 Grad gewendet und so perfekt abgelegt, dass sie das Unkraut an ihrer Oberfläche unter sich begräbt.“ Der Historiker muss es wissen: In seinem Museum kann der Goldene Pflug bis heute bewundert werden. Betrieben wird das Museum von der Universität Hohenheim – der Nachfolge-Einrichtung jener Musteranstalt, wo das Wundergerät vor bald 200 Jahren aus einem flandrischen Vorbild entwickelt wurde.

 

Goldener Pflug als eines der 100 symbolträchtigsten Objekte der deutschen Geschichte

Für Prof. Dr. Hermann Schäfer ist dieser historische Pflug noch mehr: Er sei ein Symbol für einen besonders wichtigen Momente der deutschen Geschichte, meint der Historiker, Museumsfachmann und Buchautor. In seinem neuen Buch beschreibt er 100 solcher Objekte, an denen sich Deutschlands Geschichte exemplarisch ablesen lässt.

„Deutschlands Geschichte in 100 Objekten“ heißt das Werk, erschienen ist es im Piper Verlag. Inhaltlich spannt es den Bogen von den ersten Speerspitzen über eine antike Maske als Relikt der römischen Besatzungszeit bis hin zum Käfer, dem Care-Paket, der Pille, dem West-Päckchen und dem von US Geheimdiensten abgehörten Handy der Kanzlerin.

 

Agrarrevolution als Vorbedingung für die industrielle Revolution

Ohne Innovationssprünge in der Landwirtschaft hätte es zwei große Trends laut Autor Prof. Dr. Schäfer in Deutschland nie gegeben: die Urbanisierung und die industrielle Revolution.

Im 11. Jahrhundert war es die Dreifelderwirtschaft, die deutlich mehr Erträge brachte und so die Urbanisierung ermöglichte. Denn erst die Überproduktion erlaubte einem Teil der Bevölkerung, in Städte zu ziehen, was Handel und Handwerk zur ersten Blüte brachte.

Das 19. Jahrhundert brachte den zweiten bedeutenden Schub. Und schnell mauserte sich der Standort Hohenheim zum Motor der landwirtschaftlichen Innovation in Deutschland. Die angegliederte „Ackergeräthefabrik“ verbesserte Geräte, entwickelte neue und produzierte sie in Serie. Hohenheimer Landmaschinen galten als die modernsten ihrer Zeit. Schon in den 1830er Jahren produzierten 20 Mitarbeiter bis zu 400 Geräte im Jahr. „Hohenheim war damals“, so Dr. Weisser, „Deutschlands Silicon Valley der Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts“.

Mit einem besondere Kniff gelang den Agrarpionieren ein einmaliger Wissenstransfer: Neben Originalgeräten schufen sie kleine, voll funktionstüchtige Modelle. Anhand der Modelle konnten auch Handwerker auf dem Dorf die Neuentwicklungen nachbauen. Und schon bald verkauften sich die Modelle genau so oft wie die Geräte in Originalgröße.

Zusammen mit dem Fruchtwechsel, neuen Düngemethoden und neugezüchteten Haustierrassen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mündeten die Hohenheimer Aktivitäten in die europäische Agrarrevolution. Erst diese – so das Fazit von Prof. Dr. Schäfer in „Deutschlands Geschichte in 100 Objekten“ – habe die Grundlage für die Entfaltung der industriellen Revolution gelegt.

 

Innovation aus der Not heraus

Der Goldene Pflug | Bild: DLM

Der Goldene Pflug
Bild: DLM

Dabei war die Hohenheimer Musteranstalt eine Geburt aus der Not heraus. Vorausgegangen war eine weltweite Klimakatastrophe, das „Jahr ohne Sommer“ 1816 und eine Serie von Missernten, Preissteigerungen und Hungersnöten.

In Frankreich und England gab es Volksaufstände, die teils blutig niedergeschlagen wurden. In Württemberg investierten das junge Königspaar Wilhelm I und Katharina in Bildung, Forschung und Sozialsysteme. Dazu gehörten Suppenküchen, eine landesweite Sparkasse und eben die „Landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt“ samt „Ackgeräthefabrik“ in Hohenheim.

Das Paar agierte ausgesprochen nachhaltig: „Die Ackergerätefabrik war eine Non-Profit-Organisation. Und die besonders leistungsstarken Pflüge wurden zusätzlich noch einmal vom König selbst subventioniert“, weiß Dr. Weisser vom Deutschen Landwirtschaftsmuseum der Universität Hohenheim.

Die Bevölkerung dankte es in besonderer Weise. Den Festzug zum 25. Thronjubiläum des Monarchen führte ein festlich geschmückter Wagen. Darauf – mit Goldfarbe lackiert – der Goldene Pflug aus der „Ackergeräthefabrik“. Begleitet wurde er von 10.000 Menschen, 600 Reiter und 700 Tiere.

 

Historische Zukunftsinnovationen wirken bis heute nach

Die Spuren der Bildungs- und Sozialreformen haben sich bis heute gehalten. Dazu gehören der Württembergische Sparkassenverband, das Stuttgarter Gymnasium „Königin Katharina Stift“ oder der Cannstatter Wasen: Heute gilt es als zweitgrößtes Volksfest neben dem Münchner Oktoberfest. Seine Ursprünge hat es in einer landwirtschaftlichen Leistungsschau, auf dem das Königspaar Preise für neu entwickelte Landwirtschaftsmaschinen vergab.

Aus der „Landwirtschaftlichen Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt“ mit anfänglich drei Lehrkräften wurde die Universität Hohenheim mit rund 120 Professorinnen und Professoren sowie rund 10.000 Studierenden. Heute arbeiten Agrarwissenschaftler Hand in Hand mit Natur- Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern und geben der Universität so ein einzigartiges Profil.

„Zum Goldenen Pflug“ heißen heute noch eine Reihe von Gasthöfen im Großraum Stuttgart. Wer das Original und die weltweit einmalige Modellsammlung sehen will, sollte das Deutsche Landwirtschaftsmuseum der Universität Hohenheim besuchen.

 

HINTERGRUND: Deutsche Geschichte in 100 Objekten - Buch und Autor

„Deutsche Geschichte in 100 Objekten“ heißt die Neuerscheinung von Prof. Dr. Hermann Schäfer im Piper Verlag. Das Werk umfasst 656 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. ISBN: 978-3-492-05702-8, Preis: 38,00 Euro

Prof. Dr. Hermann Schäfer, geb. 1942, ist Historiker und international renommierter Museumsfachmann und Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das von ihm aufgebaute und 20 Jahre geleitete Museum für Zeitgeschichte erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise. Es setzte neue Maßstäbe für Themen und in der Gestaltung von Ausstellungen.

 

HINTERGRUND: Deutsches Landwirtschaftsmuseum

Das Deutsche Landwirtschaftsmuseum (DLM) zeigt auf 5.700 qm überdachter Ausstellungsfläche liebevoll restaurierte Landmaschinen, die Agrargeschichte geschrieben haben. Die Besucher erleben den Wandel der landwirtschaftlichen Produktion und erfahren die Auswirkungen der technischen Innovationen auf die Arbeitsbedingungen der Bauern. Die Exponate zeigen die Entwicklung vom einfachen ackerbaulichen Gerät bis hin zur modernsten Agrartechnik. Das abwechslungsreiche Besucherprogramm des DLM beinhaltet Besucher- und Schulführungen, Sonder-Ausstellungen, spezielles Kinderprogramm und Aktionstage wie beispielsweise den jährlichen „Hohenheimer Feldtag“.

Deutsches Landwirtschaftsmuseum, Universität Hohenheim, Filderhauptstraße 79 und Garbenstraße 9a, 70599 Stuttgart (Hohenheim), T 0711 459-22146, E info@dlm-hohenheim.de

Öffnungszeiten, Eintrittspreise und Führungen unter www.dlm-hohenheim.de

Text: Töpfer

Kontakt für Medien:

Dr. Jürgen Weisser, Universität Hohenheim, Deutsches Landwirtschaftsmuseum
T 0711 459 23037, E j.weisser@uni-hohenheim.de


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