Ein Kaffee mit … Philipp Schönthaler, Schriftsteller

Bioökonomie – eine Reise in die Zukunftsliteratur  [04.09.20]

Philipp Schönthaler. Fotografin: Julia von Vietinghoff. Copyright: Matthes und Seitz Berlin

Lesen – oder vorlesen lassen: Das Wissenschaftsjahr 2020|21 steht im Zeichen der Bioökonomie, dem Leitthema der Uni Hohenheim in Forschung und Lehre. Zugleich ist es ein Anlass, sich der Materie einmal von einer ganz ungewohnten Seite zu nähern: Der Autor Philipp Schönthaler verarbeitet aktuell das Thema aus seiner Sicht in Texten wahlweise aus den Bereichen Kurzprosa, Lyrik oder Aphorismen. Der erste Beitrag zum Monatsschwerpunkt „Mobilität“ (August) steht zum Lesen oder Anhören bereit. Der Online-Kurier hat mit Philipp Schönthaler Kaffee getrunken.

 

Lesen oder Anhören:


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Herr Schönthaler, Sie haben für Ihren Text „Mit zunehmender Höhe wird die Welt statisch“ eine sehr ungewöhnliche Textform gewählt. Wie kam es dazu?


Ich weiß, dass es kein konventioneller, sondern ein eher anspruchsvoller Text ist. Trotzdem soll er beim Lesen Spaß machen und Lust wecken, sich auf ihn und das Thema einzulassen. Im Vordergrund stehen weniger eine konkrete Aussage oder Bedeutung, die man erkennen muss, sondern der Text soll zum Nachdenken anregen. Für einen Montagetext habe ich mich entschieden, weil es mir in erster Linie um Strukturen geht, die beispielsweise dazu führen, dass wir die Mobilität als hohen, wenn nicht gar absoluten Wert hochhalten, während die Immobilität als Stillstand negativ belegt ist. Die Montage ermöglicht es mir hier, sehr bündig zu zeigen, dass wir etwa unsere Körper nicht anders als Maschinen, oder eben Autos, wahrnehmen, und sie derselben Logik unterwerfen, in der Immobilität unweigerlich ein Versagen, Unglück oder eine Katastrophe bedeutet.

Sie haben Literaturwissenschaften und Anglistik studiert und darin auch promoviert. Die Themen Bioökonomie und Mobilität sind da weit weg. Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?


Bisher habe ich mich literarisch vor allem mit der Ökonomie und Technologie auseinandergesetzt. Die Natur oder Biologie findet sich zwar von Anfang an in meinen Texten, dennoch hat sich für mich abgezeichnet, dass sie in Zukunft verstärkt in den Mittelpunkt rücken wird. Deshalb habe ich mich auch gefreut, als die Anfrage von der Universität kam, ob ich Lust hätte, mich damit literarisch auseinanderzusetzen. In der Bioökonomie fließen die drei Bereiche, Natur, Ökonomie und Technologie, ja kongenial zusammen.

„Bioökonomie – eine Reise in die Zukunftsliteratur“

Die Uni Hohenheim möchte zum „Wissenschaftsjahr 2020|21 – Bioökonomie“ Naturwissenschaft und Literatur zusammenbringen. Der Autor Philipp Schönthaler wurde beauftragt, mit Textsequenzen aus den Bereichen Lyrik, Prosa oder Aphorismen einzelne Monatsthemen literarisch zu interpretieren. Im Dezember sollen die erstellten Texte im Rahmen einer Lesung im Literaturhaus Stuttgart öffentlich vorgestellt werden.

Lesen oder Anhören:

Und wie sind Sie an den Text herangegangen?

Zunächst arbeite ich mich breit in ein Thema ein. Zwar stehen am Anfang einzelne Fragen oder Interessen, aber die Vorgehensweise ist zunächst keine wissenschaftliche, sondern ich lasse mich erstmal treiben.

Ein Thema wie die Mobilität ist natürlich denkbar groß und komplex. Insofern musste ich hier irgendwann die Entscheidung treffen, ob ich das Thema tatsächlich global angehe. Also in dem Sinn, dass ich dem Umstand Rechnung trage, dass die Menschheitsgeschichte nicht ohne die Mobilität zu denken ist, und sie in der Moderne mehr oder weniger zu einem absoluten Prinzip geworden ist, zu dem es eigentlich keine Alternative gibt. Oder konzentriere ich mich eben auf einen einzelnen Aspekt. Gegenüber einer konventionellen Erzählung erweist sich die Montage als eine opportune Form, um generelle Aspekte zu thematisieren und stärker nach strukturellen Bedingungen der Mobilität zu fragen.

Konkret lese ich also sehr viel und notiere mir einzelne interessante Passagen oder Zitate. Wenn ich bei der Lektüre auf etwas Unerwartetes stoße, greife ich das auf. So wie zum Beispiel die Autonamen, die mir davor auch nicht geläufig waren. Die Herausforderung liegt dann darin, wie sich das alles einbinden lässt, so dass eine Stringenz entsteht und der Text eine Eigenständigkeit entwickelt.

Das heißt, für Sie gibt es eine enge Verknüpfung von Literatur und Wissenschaft?


Ja, unbedingt. Die Verbindung von Wissenschaft und Literatur muss es geben. Sie gehört zur modernen Literatur. Nicht erst heute leben wir in einer von Wissen und Informationen gesättigten Welt. Aber möglicherweise stellt dies den Erzähler heutzutage mehr denn je vor eine Herausforderung. Dies trifft zumindest zu, wenn man an Autoren wie Robert Musil denkt, die noch den Anspruch hatten, das gesammelte Wissen ihrer Zeit in ihre Texte einzubinden und sich dazu – eben in der Form des Romans – verhalten zu können.

Hinzu kommt, dass die wissenschaftliche Welt seit Musil noch abstrakter geworden ist, also für den Einzelnen nicht mehr erfahrbar. Dennoch kann der Literatur gerade hier eine fundamentale Rolle zukommen, um Wissenschaft und unseren Umgang – oder auch unsere Überforderung – mit wissenschaftlichen Daten wieder sinnlich erlebbar zu machen.

Was macht für Sie den Reiz an der schriftstellerischen Tätigkeit aus?

Mich fasziniert vor allem die Möglichkeit, sich von der Neugier treiben zu lassen, sich mit allem beschäftigen und die Disziplinen wechseln zu können, ohne dafür erstmal besondere Kompetenzen haben zu müssen. Dies birgt natürlich auch die Gefahr zu dilettieren. Deswegen lese ich viel, andere Literatur, aber auch Sachtexte.

Mit welchen Themen befassen Sie sich sonst?

In den letzten Jahren interessieren mich vor allem Literatur-Technologie-Beziehungen, gegenwärtig beispielsweise die Automatisierung des Schreibens. Zur Beschäftigung mit Themen wie der Technologie oder Biologie gehört für mich immer dazu, die Rolle meiner eigenen Tätigkeit, also das Schreiben, mitzudenken. Dies war übrigens auch ein Grund, warum ich mich schließlich für das autonome Fahren entschieden habe. Wenn die Ingenieure von einem World oder Scene Modelling sprechen, also der Hervorbringung einer datenbasierten Welt, die die Grundlage für die Navigation der autonomen Fahrzeuge bildet, dann hat das Parallelen zum poetischen Akt des Schreibens. Beziehungen wie diese reizen mich besonders.

Vielen Dank!

Interview: Stuhlemmer

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