Luftmessungen zeigen Handlungsbedarf
Update: PCB-Fund im Schloss [05.06.19]
Es gibt noch viele offenen Fragen. Eines allerdings steht nach der Auswertung der ersten Luftprobe fest: Es besteht Handlungsbedarf. An 6 von 8 Messpunkte in der Nähe der PCB-haltigen Fuge im Schloss Osthof-Süd wurde der Vorsorgewert von 300 Nanogramm PCB pro Kubikmeter Luft überschritten. Bis weitere Maßnahmen ergriffen sind, empfiehlt die Uni-Leitung den betroffenen Beschäftigten ihre Büros nicht mehr zu nutzen. Alle vergleichbaren Fugen im Schloss sollen kommenden Woche auf PCB untersucht werden. Über den aktuellen Stand und geplante Maßnahmen berichtete die Kanzlerin am Dienstagvormittag bei einer Informationsveranstaltung. Die Info-Seite www.uni-hohenheim.de/pcb wird laufend aktualisiert.
Sorgen, Unverständnis und Wut: Wortmeldungen der betroffenen Beschäftigten auf der Informationsveranstaltung am Dienstagvormittag lassen erahnen, in welcher Gemütslage sie sich in den letzten Wochen befinden seit die PCB-haltige Fugenmassen in ihren Büroräumen im Dachgeschoss des Brandflügels (Schloss Osthof-Süd) entdeckt wurde.
„Ich habe 16 Jahre vor der belasteten Fuge gesessen. Es ist ein Skandal, dass das Bauamt in dieser langen Zeit nicht von sich aus tätig geworden ist“, prangert ein Mitarbeiter an. „Die Existenz der Fuge war bekannt – und auch dass sie aus einer Zeit stammt, in der PCB häufig für derartige Abdichtungen verwendet wurde. Experten hätten daraus ihre Schlüsse ziehen müssen. Wir fühlen uns im Stich gelassen und haben den Eindruck, dass Probleme unter den Teppich gekehrt wurden.“
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Das Problem an PCB: Es reichert sich im Fettgewebe an und wird durch den Körper quasi nicht ausgeschieden. Entscheidend ist deshalb, wie oft und wie lang sich eine Person in belasteten Räumen aufhält. Zwar ist die akute Gefahr bei kurzzeitigem Aufenthalt gering. Allerdings können bereits kleinste Menge zum Risiko werden, wenn man sich über Jahre hinweg regelmäßig mehrere Stunden in den Räumen aufhält.
Unibauamt weist Vorwurf zurück
Die Antwort des Universitätsbauamts empfinden die betroffenen Mitarbeiter als wenig beruhigend: „Über 50% des Gebäudebestands in Hohenheim stammt aus den fraglichen Jahrzehnten“, so Abteilungsleiterin Julia Schneider. Es gebe eine Vielzahl von Schadstoffen, die mit unterschiedlichen Methoden untersucht werden müssten. Manche Tests seien außerhalb von Sanierungsarbeiten zudem nur schwer durchführbar.
Auch der beauftragte Schadstoffgutachter bestätigt: „Wirklich alles untersuchen kann man, wenn ein Gebäude komplett saniert und auf den Rohbau zurückgeführt wird. Denn dann liegen alle Bauteile offen.“
Schneider betont: „Unser Auftrag ist es, vor Baumaßnahmen und bei einem konkreten Ausgangsverdacht auf Schadstoffe zu prüfen. Dem kommen wir nach.“
Kanzlerin besteht auf systematisches Schadstoffkataster
Kanzlerin Katrin Scheffer ist das mit Blick auf die Zukunft nicht genug. Sie dringt auf ein systematisches Schadstoffkataster für alle Campus-Gebäude, in dem zumindest die gängigsten Schadstoffe im Rahmen der Möglichkeiten erfasst werden – unabhängig von anstehenden Baumaßnahmen.
Sobald die akuten Notfall-Maßnahmen zum aktuellen PCB-Fund in die Wege geleitet sind, will die Kanzlerin mit dem Bauamt besprechen, wie dieses Mammut-Projekt realisiert werden kann. „Notfalls nehmen wir das Geld dafür selbst in die Hand, auch wenn das als Universität nicht unsere Aufgabe ist“, so Scheffer.
Verdächtige Fugen im Schloss sollen untersucht werden
Als erste Maßnahme sollen am kommenden Dienstag Material-Proben von allen vergleichbaren Fugen im Schloss genommen werden. Wo sich solche verdächtigen Fugen befinden hat die Fachkraft für Arbeitssicherheit bei einer Gebäudebegehung am vergangenen Freitag erhoben (s. Grafik).
Besonders viele Fugen befinden sich demnach im Osthof des Schlosses. Ob auch sie PCB enthalten lasse sich ohne Test jedoch schwer einschätzen, da sie in unterschiedlichen Bauabschnitten versiegelt wurden, so Kanzlerin Katrin Scheffer. „Sollten sich Verdachtsfälle bestätigen werden wir sofort weitere Maßnahmen ergreifen.“
Ebenfalls soll aufgearbeitet werden, ob es bei dem ersten Fund Versäumnisse seitens des Bauamts gegeben hat. Bei den Nutzern ist der Eindruck entstanden, das Bauamt sei erst auf ihren Anruf bei der Fachkraft für Arbeitssicherheit hin tätig geworden. Das Bauamt bestreitet dies, räumt aber Fehler in der Kommunikation und in den Abläufen ein.
Luftmessung zeigt Handlungsbedarf
Was den PCB-Fund im Dachgeschoss des Brandflügels betrifft, liegen die Ergebnisse der Luftmessung seit Montagnachmittag vor.
An 6 von 8 Messpunkte wurden PCB-Werte oberhalb des Vorsorgewertes von 300 Nanogramm PCB pro Kubikmeter Luft ermittelt. Die höchste Belastung gab es erwartungsgemäß in den beiden Räumen, in denen sich die Dehnungsfuge befindet (1900 und 1747 ng/m³). Gemessen wurde außerdem in den Nachbarbüros, sowie an verschiedenen Stellen auf dem Gang (ermittelte Werte zwischen 275 und 601 n/m²).
Tatsächlich ist zu befürchten, dass die Beschäftigten in den Sommermonaten jedoch noch höheren Konzentrationen ausgesetzt waren, denn PCB dünstet bei warmen Temperaturen viel stärker aus. Und wenn die Sonne auf die schwarzen Dachschindeln des Schlosses brennt, staut sich im Dachgeschoss regelmäßig die Hitze. Deshalb soll die Messung an einem heißen Tag noch einmal wiederholt werden.
Laut PCB-Richtlinie müssen Räume mit einer PCB-Konzentration in der Luft von über 3000 ng/m³ unmittelbar saniert werden. Ab einer Konzentration von 300 ng/m³ gilt es, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Dazu gehört kurzfristig eine spezielle Schadstoffreinigung und häufiges Lüften. Mittelfristig sollte die PCB-Quelle entfernt oder versiegelt werden. Schwangere und Menschen mit schwachem Immunsystem sollten Räume mit einer Konzentration von 300 ng/m³ meiden.
Sanierung und akute Notfall-Maßnahmen
Julia Schneider vom Universitätsbauamt sagt auf der Informationsveranstaltung eine „zügige und endgültige“ Sanierung der betroffenen Fuge zu.
Bis zur Beseitigung der PCB-Belastung setzt die Uni-Leitung auf akute Notfall-Maßnahmen: Das Dachgeschoss im Brandflügel soll zum nächstmöglichen Zeitpunkt von einer Spezialfirma gereinigt werden, inklusive Büchern, Unterlagen und Gegenständen, die den Schadstoff aufgenommen haben könnten. Ausgenommen sind jedoch die gesperrten Räume direkt an der Fuge mit den höchsten Belastungen. Sie sollen vorerst nicht gereinigt werden, um die Bedingungen für eine zweite Messung nicht zu verfälschen.
Bis die Reinigung durchgeführt und ein Lüftungskonzept aufgestellt ist, empfiehlt die Uni-Leitung den betroffenen Beschäftigten, die Räume nicht mehr zu nutzen und ggfs. im Home Office zu arbeiten. Die Uni will sich kurzfristig um Ersatzräume kümmern, in denen z.B. Sprechstunden etc. abgehalten werden können.
Die Fachkraft für Arbeitssicherheit vermittelt Gesundheits-Untersuchungen mit Blutbeprobung für alle, die in dem betroffenen Gebäudebereich arbeiten oder in den vergangenen Jahren dort gearbeitet haben. Auch ehemalige Beschäftigte aus den betroffenen Gebäudeteilen sollen recherchiert und angeschrieben werden.
Außerdem will die Kanzlerin den Vorschlag von Beschäftigten aufgreifen und einen Umweltmediziner an die Uni Hohenheim einladen, der unabhängig über die Gesundheitsgefahren von PCB informiert.
Text: Leonhardmair