Zwischen fachlicher Neugierde & emotionaler Überwindung:

Ethikdiskussion im versuchstierkundlichen Kurs

Das Tierschutzgesetz verlangt, dass alle Personen, die Tierversuche durchführen oder bei der Durchführung beteiligt sind, vorab die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten nachweisen. Die Zentrale Versuchstierhaltung (ZVH) bietet dafür in Hohenheim einmal pro Jahr einen 40-stündigen Kurs an, der auch für Uni-Externe offen steht. Nach Abschluss des Kurses berichteten die Teilnehmer im vergangenen Jahr, was sie während des Kurses empfunden haben und was sie allgemein über Tierversuche und ihre Arbeit denken.

 

Hintergrund: Versuchstierkundlicher Kurs

  • Die eine Hälfte des Kurses (20 Stunden) besteht aus Theorie. Referenten aus verschiedenen Einrichtungen der Universität Hohenheim sowie Gastdozenten  berichten dabei u.a. über rechtliche Voraussetzungen von Tierversuchen, Tierhaltung, Zucht von Versuchstieren, Anatomie, Anästhesie, Versuchsplanung bis hin zur Tierethik.
  • In der anderen Hälfte des Kurses (ebenfalls 20 Stunden) geht es darum, praktische Fertigkeiten zu erwerben. Dabei üben die Teilnehmer unter Anleitung unter anderem Nager zu handeln, verschiedene Methoden wie eine Blutentnahme durchzuführen und die Anatomie zu erlernen.
  • Der Kurs endet mit einer schriftlichen Erfolgskontrolle.

Die 18 Teilnehmer des Kurses im Jahr 2016 kamen aus sehr unterschiedlichen Bereichen: Mit dabei waren beispielsweise ein Doktorand der Uni Stuttgart, der Antikörper gegen Tumore erforscht, eine Hohenheimer Master-Studentin, die einen Zecken-Versuch mit Mäusen durchführt, eine Mitarbeiterin des Meiereihofs, die mit fistulierten Kühen arbeitet, und eine Tierpflegerin der Uni Vaihingen, die Versuchstiere betreut und künftig auch für deren Tötung zuständig ist, beispielsweise um im Anschluss eines Versuchs  Organe und Gewebe zu entnehmen.

Praktische Übungen lösen unterschiedliche Emotionen aus

Im Anschluss an den Kurs erklärten sich die Teilnehmer in einer freiwilligen Gesprächsrunde bereit, über ihre Gedanken und Emotionen zu berichten. Bei einem Stück Pizza entspinnt sich dabei schnell eine überraschend rege und offene Diskussion.

Die praktischen Übungen im Kurs haben die Teilnehmer sehr unterschiedlich empfunden.

„Für mich war es sehr emotional“, berichtet eine Teilnehmerin. „Es bedeutet für mich Überwindung und Stress. Aber ich weiß, dass Krebs-Antikörper nicht anders erforscht werden können. Umso wichtiger ist mir, die richtige Technik zu erlernen, z.B. wie man Mäuse richtig greift, damit sie bis zur Injektion ruhig bleiben. Sobald die Maus narkotisiert war, fiel mir das Arbeiten erheblich leichter.“

Für einen anderen Teilnehmer überwog die Neugier: „Ich führe Fütterungsversuche mit landwirtschaftlichen Nutztieren durch, werde in meinem Arbeitsalltag also künftig wohl keine Maus mehr sezieren. Dennoch war es eine interessante Erfahrung. Ich fand es beispielsweise schon von klein auf spannend, Hähnchen zu zerlegen und zu untersuchen, wie die inneren Organe zusammenhängen.“

Interesse für Tiere stand für viele am Anfang

Schnell wird klar: das ethische Dilemma von Tierversuchen lässt niemanden unberührt.

Das gilt umso mehr, da bei vielen Kursteilnehmern das Interesse für Tiere am Anfang ihrer fachlichen Ausrichtung stand. Die meisten haben selbst Haustiere.

„Ich wurde Tierpflegerin, weil ich Tieren helfen wollte“, berichtet eine Teilnehmerin. „Heute bin ich für Versuchstiere zuständig. Ich musste mir dafür im privaten Umfeld viel anhören. Aber ich habe für mich eine klare Position gefunden. Denn als ich selbst schwer erkrankte, war ich auf ein Medikament angewiesen, das mit Hilfe von Tierversuchen erforscht wurde. Als Pflegerin trage ich dazu bei, dass die Belastung der Tiere so gering wie möglich gehalten wird. Privat engagiere ich mich noch heute aktiv für den Tierschutz. Allerdings verstehe ich unter Tierschutz heute etwas anderes als noch vor 10 Jahren.“

Tiere töten für Grundlagenforschung und Ausbildung?

Dass Tiere für die Erforschung von Medikamenten getötet werden, fällt der Tierpflegerin bis heute deutlich leichter zu akzeptieren, als wenn dies für Grundlagenforschung oder im Rahmen der Lehre geschieht.

Ein anderer Teilnehmer gibt zu bedenken: „Irgendwo müssen wir eben anfangen. Nur wenn wir grundlegende Zusammenhänge verstanden haben, können wir überhaupt Medikamente entwickeln, die dann in die Erprobungsphase gehen.“

Eine Dozentin berichtet, dass an der LMU München seit einigen Jahren verstärkt Videos eingesetzt werden, um Nachwuchswissenschaftler auf die Durchführung von Tierversuchen vorzubereiten. Die Zahl der getöteten Mäuse sei auf diese Weise reduziert worden. Allerdings bleibe es unabdingbar, dass im Rahmen der Ausbildung auch weiterhin praktische Übungen durchgeführt werden.

Dies scheint sich auch mit der Ansicht der meisten Kursteilnehmer zu decken, die begleitend zum Kurs in Hohenheim ebenfalls Zugang zu einer Video-Datenbank haben.

„Im Kurs selbst war ich relativ aufgeregt“, meint eine Teilnehmerin. „Es hat mir deshalb sehr geholfen, mich zu Hause mit den Videos vorzubereiten und das Gelernte noch einmal in Ruhe zu rekapitulieren. Vollständig ersetzen können hätten die Videos die Übungen mit der realen Maus aber auf keinen Fall.“

Sezier-Kurs im Biologie-Bachelor

Die meisten Teilnehmer finden es deshalb auch richtig, dass Biologie-Studierende bereits während des Bachelors Sezierkurse belegen müssen. Zumal dabei fast ausschließlich Tiere eingesetzt werden, die ohnehin getötet werden: Beispielsweise Schaben, die als Tierfutter verkauft werden, männliche Küken aus der Legehennenzucht oder Labormäuse, die nach einem Versuch eingeschläfert werden mussten.

Bei den Studierenden selbst stößt der Sezier-Kurs nicht ausschließlich auf Gegenliebe.

„Einige erkennen den Wert der Lehrveranstaltung möglicherweise erst im Nachhinein“, vermutet ein Teilnehmer. „Es ist meiner Meinung aber tatsächlich so, dass kein Lehrbuch oder Modell den gleichen Lerneffekt vermitteln kann. Auf jeden Fall ist es gut, wenn Studierende möglichst früh mit dieser Erfahrung konfrontiert werden. Denn in vielen Bereichen der biologischen Forschung spielen Tierversuche eine wichtige Rolle. Wenn jemand erst bei der Doktorarbeit feststellt, dass er oder sie damit ein Problem hat, wäre das schlecht.“

Starke Stellung von Tierschutzbeauftragten wichtig

Ein Problem sehen die Nachwuchswissenschaftler darin, wenn Tierversuche zur Routine werden, und das Bewusstsein dafür verloren geht, dass man es mit lebendigen Wesen zu tun hat.

„Wir brauchen auf jeden Fall ein System, das genug Zeit und Geld zur Durchführung der Versuche bereithält“, betont ein externer Kursteilnehmer. „Ich habe an verschiedenen Forschungseinrichtungen gearbeitet und habe immer wieder erlebt, dass die Wissenschaftler unter großem Zeitdruck stehen. Das kann im Extremfall zu Lasten der Tiere gehen.“

Umso wichtiger sei es, dass Tierschutzbeauftragte oder Ombudspersonen frei und unabhängig agieren können, und bei Missständen entschlossen einschreiten.

Dass sie sich in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis für ihre Arbeit rechtfertigen müssen, kennen die meisten Kursteilnehmer nur zu gut. Die Vorhaltungen können mitunter verletzend sein – und oft basieren sie auf unrealistischen Vorstellungen, wie die Versuche tatsächlich ablaufen. Trotz allem finden es die Teilnehmer gut, dass die Gesellschaft kritische Fragen stelle.

Text: Leonhardmair