"10 Jahre Politik des Gehörtwerdens":
Bürger-Dialog stärkt Demokratie  [08.03.21]

Studie der Universität Hohenheim zeigt: Bürgerbeteiligung fördert Zufriedenheit mit der Demokratie. Das gilt besonders für Baden-Württemberg – mit Luft nach oben.

Zufriedenheit mit dialogischer Bürgerbeteiligung fördert die Zufriedenheit mit der Demokratie. Die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg liegen dabei über dem Bundesdurchschnitt. Aber sie fordern mehr. Das ist das Ergebnis einer Studie von Kommunikationswissenschaftlern der Universität Hohenheim in Stuttgart. Für ihre repräsentative Umfrage haben sie im Februar 2021 insgesamt 4.066 Menschen befragt. Präsentation der Studie unter www.uni-hohenheim.de/uploads/media/2021-03_Buergerbeteiligung2.pdf


„Winfried Kretschmanns ‚Politik des Gehörtwerdens‘ hat vor zehn Jahren einen Nerv getroffen. Und auch heute noch finden die Menschen in Baden-Württemberg dialog-orientierte Beteiligung sehr wichtig. Und das parteiübergreifend“, sagt Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim.

Um festzustellen, wie wichtig den Menschen in Baden-Württemberg dialogische Beteiligung ist und wie zufrieden sie mit den bestehenden Möglichkeiten sind, wurden 4.066 Menschen befragt – 2.513 Personen in Baden-Württemberg und 1.553 im restlichen Bundesgebiet. Sie wurden auch gefragt, ob in den letzten zehn Jahren ihrer Meinung nach mehr Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen wurden und ob sie selbst schon mal an dialog-orientierter Beteiligung teilgenommen haben. Auch das Verhältnis von repräsentativer Demokratie, direkt-demokratischer Entscheidungsfindung sowie dialogischer Demokratie wurde in den Blick genommen. Dabei unterschieden die Forscher jeweils zwischen der Bundes-, der Landes- und der kommunalen Ebene.


Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie ist groß

Insgesamt ist ein große Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. Die Zufriedenheit ist auf Landesebene am größten (74 %). Es folgen die Bundesebene (71 %) und die kommunale Ebene (70 %). Auf allen drei Ebenen ist die Zufriedenheit der Menschen in Baden-Württemberg größer als im Bundesdurchschnitt.

Dieser Abstand ist auf Landesebene am größten: Die Menschen in Baden-Württemberg sind mit dem Funktionieren der Demokratie auf Landesebene um acht Prozentpunkte zufriedener als der Bundesdurchschnitt.

Frauen sind mit dem Funktionieren der Demokratie in Baden-Württemberg etwas zufriedener als Männer. Menschen zwischen 18 und 29 Jahren sowie ab 60 Jahren sind damit etwas zufriedener als Menschen zwischen 30 und 59. Und: Anhänger der Grünen, der CDU und der SPD sind mit dem Funktionieren der Demokratie in Baden-Württemberg sehr zufrieden. Anhänger der AfD sind mit dem Funktionieren der Demokratie als einzige Gruppe überwiegend unzufrieden.


Die Bürgerinnen und Bürger bevorzugen eine repräsentative Demokratie mit Dialog-Elementen

Etwa zwei Drittel der Befragten wünschen sich eine Demokratie, in der zwar grundsätzlich die gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten die politischen Entscheidungen treffen, zu denen sie aber vorher die Bürgerinnen und Bürger anhören und deren Empfehlungen in ihre Überlegungen einbeziehen.

Nur gut ein Zehntel der Befragten will, dass wichtige politische Entscheidungen direkt von der Bevölkerung getroffen werden. Und etwa 15 Prozent sprechen sich ebenfalls für eine direkt-demokratische Variante aus, der aber eine dialogische Komponente vorangestellt sein sollte.

„Die Bürgerinnen und Bürger wollen gar nicht unbedingt selbst entscheiden, aber sie wollen transparent und verlässlich informiert werden und mitreden können“, fasst Prof. Dr. Brettschneider die Ergebnisse zusammen.

Dabei bestehen zwischen den Partei-Anhängerschaften Unterschiede hinsichtlich ihrer Demokratie-Präferenzen. CDU-Anhänger bevorzugen die repräsentativen Varianten überdurchschnittlich oft. AfD-Anhänger bevorzugen die direkt-demokratischen Varianten. Die Anhänger der Grünen wünschen sich zu 73 Prozent eine repräsentative Demokratie mit Dialog-Elementen.


Heute gibt es mehr dialogische Beteiligung als vor zehn Jahren – aber sie reicht noch nicht aus

Die Menschen in Baden-Württemberg schätzen dialogische Beteiligung als sehr wichtig ein. Am wichtigsten finden sie sie auf kommunaler Ebene (90 % der Befragten finden dialogische Beteiligung auf kommunaler Ebene wichtig), dann auf Landes-Ebene (78 %) und schließlich auf Bundes-Ebene (65 %).

Über dem Bundesdurchschnitt liegt der Eindruck der Menschen in Baden-Württemberg, dass es heute mehr Beteiligungsmöglichkeiten gibt als vor zehn Jahren. Knapp die Hälfte der Menschen in Baden-Württemberg meint, dass es auf der Ebene der Landespolitik heute mehr Beteiligungsmöglichkeiten gibt als vor einem Jahrzehnt. Auf der kommunalen Ebene gibt es nach Meinung von 60 Prozent heute mehr Beteiligungsmöglichkeiten als zehn Jahre zuvor.

Bei der Frage, ob die derzeitigen Möglichkeiten für dialogische Beteiligung ausreichen, differenzieren die Menschen in Baden-Württemberg deutlich zwischen Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Während 62 Prozent die Möglichkeiten dialogischer Beteiligung auf kommunaler Ebene als ausreichend empfinden, trifft dies nur auf ein Drittel der Befragten zu, wenn es um die Landes-Ebene geht. Und nur 25 Prozent empfinden die Möglichkeiten auf Bundesebene als ausreichend.

Dabei schätzen die Menschen in Baden-Württemberg sowohl die Entwicklung als auch den Umfang der Beteiligungsmöglichkeiten als deutlich besser ein als der Bundesdurchschnitt. Die Menschen in Baden-Württemberg sind dementsprechend auch mit den Beteiligungsmöglichkeiten zufriedener als der Bundesdurchschnitt.

„Hier hat die Arbeit der bundesweit ersten Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung offenbar positive Spuren hinterlassen“, meint Prof. Dr. Brettschneider „Zu nennen sind etwa Dialog-Foren mit zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern – zu Corona, zur Opern-Sanierung oder zu den Altersbezügen der Landtagsabgeordneten. Das ist der richtige Ansatz, er müsste aber noch viel häufiger verfolgt werden“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. Er nennt als Beispiel die Themen „Landwirtschaft und Artenschutz“ oder „Mobilität im Land“. „Diese dialogische Beteiligung sollte auf der Landesebene weiter aufgebaut werden“, sagt Prof. Dr. Brettschneider.


Mehr als die Hälfte der Menschen in Baden-Württemberg hat in den letzten zehn Jahren an einem Beteiligungs-Verfahren teilgenommen

In Baden-Württemberg geben 59 Prozent der Menschen an, in den letzten zehn Jahren bereits an einem Beteiligungs-Verfahren teilgenommen zu haben. Das liegt leicht über dem Bundesdurchschnitt. Männer haben etwas häufiger teilgenommen als Frauen. Und 18- bis 29-Jährige etwas seltener als die anderen Altersgruppen.

Am häufigsten erfolgt diese Teilnahme auf der kommunalen Ebene (75 % all derer, die an Beteiligungs-Verfahren teilgenommen haben). 43 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg geben an, dass sie in den letzten zehn Jahren an einem Bürgerbeteiligung-Verfahren auf kommunaler Ebene teilgenommen haben. Das liegt leicht über dem Bundesdurchschnitt.

Die Zufriedenheit mit dem Ablauf des Verfahrens (55 % Zufriedene) ist größer als die Zufriedenheit mit dem inhaltlichen Ergebnis der Beteiligung (43 % Zufriedene). In beiden Fällen ist die Zufriedenheit in Baden-Württemberg etwas größer als im Bundesdurchschnitt.

Gut die Hälfte der Menschen, die sich beteiligt haben, geben an, dass die Bürgerbeteiligung ein Schritt in die richtige Richtung war. Nur 13 Prozent sagen, es habe ich um eine Show-Veranstaltung gehandelt. Die Zustimmung zu der letzten Aussage ist bei denen hoch, die mit dem Verfahren und/oder dem Ergebnis der Bürgerbeteiligung unzufrieden sind.

Text: Elsner

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Institut für Kommunikationswissenschaft
T 0711 459 24030, E frank.brettschneider@uni-hohenheim.de


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